Son of a Preacher Man - Teil 8

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 20.09.2013


Neuer Teil ^^
Mit interessanten Wendung. Was haltet ihr davon?



Teil 8

Etwas verlegen sitze ich am Frühstückstisch.
Noah versucht krampfend nicht zu mir zu schauen, seine kleinen Anhängerinnen senden mir dafür fiese Blicke zu. Und Caro offenbart mir den Tagesplan.
Normalerweise bessert sich meine Laune mit dem ersten Kaffee des Tages, doch unter diesen Umständen könnte nicht mal nen doppelter Espresso irgendwas an meiner Miesepeterigkeit ändern.
Ich muffle vor mich hin und kommentiere Caros Geplappere mit eintönigen „Mpmfs“, schiele immer mal zu Noah und verdränge die Erinnerung an seine Bauchmuskeln.

Die Begegnung war wirklich unangenehm. So, als würde man seinen Bruder nackt sehen. Völlig unangebracht. Noch unangebrachter sind aber meine Empfindungen, die damit einher gehen.
Dieser Körper hat mir wirklich gefallen. Ich kriege das gleichmäßige Sixpack, die langen, schlanken Beine und diesen unglaublichen Knackarsch nicht mehr aus dem Kopf.
Wie ein Virus hat sich der Anblick eingenistet und sucht mich seitdem heim.
Dann sehe ich zu Noah und könnte im Boden versinken.
Das ist Noah! Der Kirchenheini. Der Langweiler.

„...irgendwer müsste dann also nochmal ganz dringend runter in die Stadt!“
Caros Stimme dringt wieder zu mir durch. Ich habe keine Ahnung, worum es geht, aber ich weiß, dass das mein einziger Ausweg ist. Raus, aus dieser Teufelsspirale. Weg, von diesem verrückten Haufen. Ich werde hier selbst noch irre. Ich himmel einen Jungen an, der mich früher nicht die Bohne interessiert hat, nur weil sein perfekter, runder Po so unglaublich sexy in dieses verfluchten Shorts aussah! Und vielleicht auch, weil ich mich so ungezwungen mit ihm unterhalten konnte... und weil er da ein Geheimnis hat. Aber in erster Linie dann wirklich nur wegen dem Hinterteil! Ganz sicher.

„Das übernehme ich!“, sage ich mit rauer Stimme und räuspere mich.
Die Blicke der anderen richten sich auf mich. Auch Noahs grüne Augen.
„Wirklich?“, fragt Caro zweifelnd. Auch der Rest blickt mehr überrascht, als dankend. Ich ahne, dass ich in meiner Leichtsinnigkeit einen Fehler begehe, nichtsdestotrotz nicke ich überzeugt.
„Äh, gut.“, sagt Caro langsam. „Dann müsstest du mein Auto nehmen. Kein Problem!“, sie macht eine kurze Pause. „Noahs Vater weiß bescheid, dann sag ich ihm, dass du die Gebetsbücher holst. Er ist in der Kirche...“

***

Auch wenn ich nicht unbedingt begeistert bin, gleich dem Pfarrer gegenüber zu treten, der ganz genau weiß, dass ich seiner Gemeinde den Rücken gekehrt habe und das mit Sicherheit ziemlich persönlich nimmt, so bin ich doch froh, dem Wahnsinn im Lager für einen kurzen Moment zu entkommen.
Irgendetwas hat mich da ganz fies von der Seite angesprungen und meine Wahrnehmung vernebelt. Und gleichzeitig verweichliche ich auch noch.
Mein Interesse für den Pfarrersjungen hat ungeahnte und ausgesprochen beängstigende Ausmaße angenommen. Ich erwische mich seit heute Morgen viel zu oft dabei, dass ich an ihn denke. Und überhaupt: Was war da eigentlich gestern Abend los? Mir doch egal, was das für ne Tussi war, die er mir verheimlicht.
Und dann dieser kurze, geistig-verwirrte Ausflug in meine Zukunft. Studieren? Wie konnte ich auch nur ansatzweise einen solch lachhaften Gedanken zulassen.
Noah tut mir nicht gut.
Nach diesem Wochenende sollte ich ihn besser komplett aus meinem Leben streichen. Und den Kontakt zu Caro muss ich auch reduzieren. Die hat auch so einen merkwürdigen Einfluss auf mich.
Ich lenke den Golf von Caro gerade auf die Hauptstraße, da klingelt mein Handy.
Nach einem Blick auf den Display, entgehe ich nur knapp einem Auffahrunfall mit dem nachtschwarzen Benz, der provokant langsam vor mir herfährt.
Da steht Bianca. Schwarz auf weiß.
Ich setze den Blinker, bremse, ohne in den Rückspiegel zu schauen und halte auf dem Kiesbett neben der Straße an. Hinter mir hupt es aggressiv.

„Ja?“, hauche ich ins Telefon.
„Annaaaaaaaaaa!“, schallt mir Biancas Stimme entgegen. Ich bin wie erstarrt. „Wo bist du verdammt nochmal?“, lacht sie fröhlich und gleichzeitig höre ich raus, dass sie weder nüchtern, noch ganz bei Trost ist.
„Willst du mich verarschen?“, knurre ich.
Kurz schweigt sie. Ich höre im Hintergrund ein ohrenbetäubendes Gemisch aus Bässen, Melodien und kreischenden Menschen. Sie ist mitten drin. Die DuskyDays haben sie wortwörtlich schon verschlungen.
Mich überkommt eine Welle von ungezügeltem, blankem Neid.
Es ist ein wunderschöner, sonniger Tag. Keine Wolke steht am Himmel. Die Stimmung auf dem Festival ist wahrscheinlich unübertroffen und was mache ich? Ich sitze in Caros Jesusmobil, bin auf dem Weg zur Kirche, um ein paar Bibeln abzuholen und mich erwartet ein Nachmittag auf dem ehemaligen KZ-Gelände, wo wir gemeinschaftlich für die Opfer des Holocaust mehrere Stunden am Stück beten werden – wohlbemerkt bei 35 Grad im Schatten und wahrscheinlich mitten auf dem Apellplatz, wo nich eine Buche steht, obwohl dieser verfluchte Ort nach diesem Gewächs benannt wurde.

„Wieso sollte ich dich verarschen?“, antwortet Bianca endlich. Ihre Stimme ist noch immer gespielt fröhlich und sie klingt so unschuldig, dass ich kurz davor bin ins Lenkrad zu beißen.
„Wieso?-“, mir bleibt kurz die Spucke weg. Ein dunkelblauer Passat fährt knapp an mir vorbei und ich sehe nur, wie mir der Fahrer den Vogel zeigt. „Du mieses Luder hast mich sitzen lassen! Schon vergessen?“, spucke ich.
„Ach komm schon Anna!“, quiekt sie nervös, „Du weißt doch genau, was für nen Umweg das für mich gewesen wäre. Außerdem ist mal wieder alles schief gegangen. Du weißt doch wie das ist. Ständig kommt einem irgendwas dazwischen. Naja, jedenfalls hätte ich den Zug niemals geschafft und nun hat mich Ron mit dem Auto mitgenommen. Ich dachte wir treffen uns hier. Wo bist du?“

Ich habe keine Ahnung, wer Ron ist.
Das ist wieder so typisch Bianca. Sie ist der unorganisierteste, chaotischste Mensch, den ich kenne. Ständig vergisst, verlegt oder verplant sie Etwas und da diese Unart bei ihr angeboren zu sein scheint, man sich mit der Zeit an das Chaos gewöhnt hat und nichts anderes mehr erwartet, kann man ihr nicht mal direkt böse sein. Und falls man es doch ist, dann ignoriert sie einen so lange, bis man dann doch ihre zweifelhafte Gesellschaft vermisst und den fünften Strich unter die Sache zieht.

Doch diesmal hat sie den Bogen überspannt.
Ich knurre. „Warum bist du nicht an dein scheiß Handy gegangen? Warum hast du mir nicht abgesagt oder mir wenigstens ne verdammte SMS geschickt? Und warum lese ich auf Facebook, dass du meine Karte verschenkst? Kannst du mir DAS mal erklären?“
Ein klein wenig habe ich mich in meine Wut reingesteigert und der Fragenmonolog ist zum Schluss dann doch sehr laut geworden.
„Ach ja-“, kichert sie gedehnt und schenkt meinem offensichtlichen Zorn keine Beachtung. „Mein Handy. Keine Ahnung... das hört sich verrückt an. Aber: Seit Mittwoch war es spurlos verschwunden. Ich hab es überall gesucht. Weißt du eigentlich wie viele Leute versucht haben, mich zu erreichen. Ich war völlig aufgeschmissen. Und rate mal, wie ich es letztendlich wieder bekommen habe!“
Sie macht tatsächlich eine kleine Pause und erwartet, dass ich auf diesen Schwachsinn eingehe.
Nach fünf schweigsamen Sekunden, fährt sie dann unbeirrt fort:
„Ein total schnuckeliger Typ steht vor meiner Tür und fragt mich, ob ich mein Handy suchen würde. Und irgendwie kam er mir auch bekannt vor. Dann fiel es mir ein. Aus dem Fitnessstudio! Anna! Ich muss es da liegen lassen haben und das ist ihm aufgefallen. Dann hat er von der ollen Zicke am Empfang meine Adresse erfahren und hat es mir höchstpersönlich gebracht.
Naja, jedenfalls. Das war dann Ron!“
„Der Ron, mit dem du zu den Duskydays gefahren bist?“, frage ich, obwohl ich es garnicht will.
Das ist wieder alles so irrsinnig, dass es nur wahr sein kann.
Automatisch reise ich in Biancas schillernde Welt der Kuriosiäten ein. Wie zur Hölle hat sie das angestellt?

„Ja!“, trällert sie aufgeregt. „Du glaubst garnicht wie süß der ist, Anna! Und nachdem ich ihn in meine Wohnung gelassen habe, sind wir so ins Gespräch gekommen. Und dann im Bett gelandet. Und dann frage ich ihn aus einer Laune heraus, ob er nicht Bock hat, mit zu den Ddays zu kommen. Und er stimmt sofort zu und bietet sogar an, selbst zu fahren. Wie konnte ich da ablehnen? Und dann wurde alles mega stressig – auf meinem Handy waren hunderte Nachrichten. Ich musste noch meine Sachen packen, einkaufen – dann saß ich schon mit Ron im Auto und hatte dich völlig vergessen.“

„Sehr nett!“, kommentiere ich die ziemlich lahme Entschuldigung.
„Das war wirklich alles so aufregend und ich dachte dann, dass du sowieso hinfährst und mich dafür doch nicht brauchst!“, rechtfertigt sie sich halbherzig.
„Nein, dich brauche ich ganz sicher nicht.“, sage ich mit Genugtuung in der Stimme, auch wenn es Bianca sicher nicht so aufnimmt, wie ich es meine. „Aber meine verfluchte Karte brauche ich! Und die hast du! Und dann verscherbelst du sie noch bei Facebook!“
Bianca lacht. „Glaubst du das wirklich?“
Ich schnaufe. „Was sollte dieser Post denn dann bitte bedeuten?“
„Na was meinst du, warum ich dich darauf verlinkt habe Schnuckelchen?“, kichert sie. „Das war Spaß! Mensch Anna, das ging an dich. Dass ich auf dich warte! Seit wann bist du denn so verbohrt, dass du meine Gags nicht mehr kapierst?“

Ich hole tief Luft. Ich komme mir immer noch ziemlich verarscht vor und weiß nicht, wie ich Biancas Verhalten deuten soll. Diese Frau nimmt alles so locker, bei ihr besteht das Leben aus Leichtigkeit, Zufällen und Aneinanderreihungen von fast unwahrscheinlichen und dennoch faszinierenden Geschehen. Man weiß nie, was man glauben soll. Und irgendwie scheint sie trotzdem nie zu lügen, auch wenn es so unglaublich erscheint.
Eine gefährliche Mischung, die mich in Berlin nicht weiter gestört hat. Ich mochte ihr flatterhaftes Wesen, diese aufregenden Stories, die sie stets zum Besten gab und vor allem den Spaß, den man mit ihr haben konnte. Wenn mir irgendwas unglaubwürdig oder komisch erschienen war, konnte ich die Schultern zucken und drüber schmunzeln. Ich war nicht auf sie angewiesen.
Doch jetzt, wo ich mich das erste Mal wirklich auf sie verlassen hatte und sie mich bitter enttäuscht hat, da bin ich skeptischer.
Lustig finde ich die ganze Geschichte jedenfalls überhaupt nicht.

„Das war nen scheiß Scherz, Bianca.“, sage ich lediglich.
Ich würde ihr gern erklären, dass ich in gewisser Weise von ihr abhängig gewesen war. Jetzt, wo ich allein bin und nicht die Stärke habe, ohne Begleitung zu dem größten Festival Deutschlands zu reisen. Dass ich zu verletzt bin und mich abgeschoben fühle.
Aber ich weiß, dass sie das erstens nicht interessieren und zweitens, falls doch, es nicht verstehen würde.
Sie ist keine Freundin wie Caro, die zuhören kann, geschweige denn Verständnis zeigt.
Biancas Kosmos dreht sich einzig allein um sie selbst.

„Ach, komm schon!“, flötet sie lockend. „Was machst du jetzt grad?“, fragt sie stattdessen.
„Das willst du garnicht wissen.“, seufze ich.
Wenn sie wüsste, wo ich bis jetzt mein Wochenende verbracht habe, käme das einem Eingeständnis meiner zutiefst grausamen, geistigen Verwirrung gleich, vor der Bianca mich schon gewarnt hatte, als ich ihr eröffnete, dass ich wieder nach Weimar ziehe.
„Komm her!“, lautet ihr knapper, unüberlegter Befehl. „Du glaubst garnicht, was hier los ist! Es ist der Wahnsinn. Und du fehlst so sehr! Ich will mit dir feiern, Anna! Also schwing endlich deinen kleinen Knackpo her und hör auf, die beleidigte Leberwurst zu spielen!“

In meinem Kopf springt eine kleine Sicherung durch.
Bei ihren Worten packt mich eine tiefe Sehnsucht. Die Erinnerung an unzählige Parties, an lange Nächte und die harten Bässe, zu denen ich für mein Leben gerne tanze.
Und an Chris.
Er ist ja auch da.
Seit sechs Wochen habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm, kein Anruf, keine SMS. Ich vermisse ihn so wahnsinnig, auch wenn ich mir das nur ungern eingestehe. Die Trennung hat ein tiefes Loch in mein Leben gerissen und mit jedem Tag, der verstreicht, ohne ihn, wird das Loch immer größer und ich sehe keine Möglichkeit, es auch nur ein kleines bisschen zu schließen.
Zugegeben, der gestrige Abend war eine nette Ablenkung. Doch letztendlich nur ein kleiner Faden, der um Längen nicht ausreicht, um den Riss in meinem Herzen zu nähen.
Ich bin mir sicher, dass es nicht einfacher wird, vielleicht gebe ich mir damit auch noch den goldenen Schuss, aber ich will ihn sehen. So dringend.
Und ich will zu diesem verdammten Festival.
Feiern, tanzen, trinken – so tun, als hätte sich nichts geändert. Mir etwas vorgaukeln, Tatsachen verdrängen, mich in der Vergangenheit verlieren. Ich kann mich damit selbst zu Grunde richten, das ist mir irgendwo, ganz tief drinnen in meinem verkorkstem Inneren, bewusst. Aber ich ignoriere sämtliche, schrillende Alarmsirenen. Ein Plan hat von meiner Vernunft Besitz ergriffen, hat Intelligenz und Klarsicht in ein Kämmerchen gesperrt, den Schlüssel versteckt und lässt mich etwas total wahnwitziges machen.

Mein Blick geht zur Tankanzeige. Dreiviertel voll.
Dann sehe ich zu meiner Tasche auf dem Beifahrersitz. Im Portmonee sind noch vierzig Euro, meine überzogenen Kontokarte und eine Kreditkarte für den Notfall, die leichter zu bekommen war, als ein Tütchen Gras im Tiergarten.
Zu den DuskyDays sind es 170 Kilometer. Über die Autobahn brauche ich nicht mal zwei Stunden.
Es ist halb Elf.

„Wir treffen uns um eins auf dem Parkplatz. Bring meine Eintrittskarte mit!“, sage ich mit ruhiger Stimme zu Bianca durchs Telefon, setze den Blinker und fahre aus der Stadt raus, Richtung Autobahn.





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