Wie eine einzige Sommernacht - Teil 14

Autor: NoNo
veröffentlicht am: 08.10.2014


Timo

Vorsichtig und auch ein wenig unsicher lenkt Frieda den Bus von der Fähre.
Ich sitze wieder mit Immanuel und Emmi auf der Rücksitzbank und werfe immer mal wieder einen Blick auf Emmi. Eigentlich habe ich nicht das Gefühl, dass Immanuel und ich uns breit machen, aber wenn sie so zwischen uns sitzt, sieht sie richtig eingepfercht aus.
?Sorry, Ems? murmele ich ihr zu.
Sie dreht sich zu mir um und grinst. ?Ist schon okay. Ich glaube, Immi hat?s schlechter erwischt? Ich muss lachen. Mit seinen Knien könnte er beinahe seine Nase berühren. Er ist einfach zu groß für den engen Bus.
?Also hier vorne ist es ganz bequem? Chris dreht sich zu uns um und grinst gemein.
?Ach, halt doch die Klappe!? gebe ich zurück und schlage ihm freundschaftlich gegen den Arm. Dann drehe ich mich wieder zum Fenster und blicke auf die griechische Landschaft.
Heute Mittag um halb zwei haben wir mit der Fähre in Patras angelegt. Nach über vierundzwanzig Stunden sind wir dann endlich in Griechenland angekommen.
Ich bin jetzt schon ganz begeistert von diesem Land. Ich war bis jetzt nur ein einziges Mal in Griechenland; vor etwa vier Jahren bin ich mit Joschka und Immanuel nach Korfu gefahren, wo wir zwei Wochen lang geblieben sind. Wo ich Maria kennen gelernt habe.
Kurz schwelge ich in Erinnerung und sehe wieder das damals sechzehnjährige Mädchen vor mir, in das ich mich so unglaublich intensiv verliebt habe.
Wir verbrachten jeden Abend zu zweit am Strand und haben über alles Mögliche geredet. Ich konnte mich so gut mit ihr unterhalten. Sie verstand mich, sie wusste, wie ich mich fühlte. Ich hatte schon nach wenigen Tagen das Gefühl, dass sie mich kennt. Und während Immanuel und Joschi auf der Insel durch Bars und Clubs zogen, bin ich bei Maria geblieben.
Nach diesen zwei Wochen war für uns klar, dass wir es nicht bei einem Urlaubsflirt belassen können. Denn das zwischen uns war mehr als ein Urlaubsflirt. Ich wusste, es ist irgendetwas Größeres. Irgendetwas, das zu mehr bestimmt ist. Trotz der räumlichen Distanz zwischen uns (sie wohnt in Stuttgart), wussten wir, dass wir eine Beziehung eingehen würden, ja sogar müssten.
Also kam ich mit Maria zusammen und war der glücklichste Junge auf der ganzen Welt.
Heute ist alles anders. Maria wohnt immer noch in Stuttgart, wir sehen uns seltener als früher und auch unsere Gespräche haben an Qualität verloren. Ich habe nicht mehr das Gefühl, mit ihr über alles reden zu können, ihr alles erzählen zu können, einfach ich selbst zu sein.
Heute ist es schwierig, ihr meine Gedanken, Wünsche und Emotionen mitzuteilen. Sie versteht mich nicht. Und ich verstehe sie auch nicht mehr.
Was früher so einfach war, ist mittlerweile zu einem Kampf geworden. Und ich weiß nicht, wie lange ich noch kämpfen kann und will. Vielleicht ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem es besser ist, aufzugeben. Auch wenn mir dieser Gedanke förmlich das Herz zerreißt. Maria ist mir so wichtig, sie war so lange ein großer Teil meines Lebens. Doch ich spüre, dass wir am Ende sind.
Ich wollte den Urlaub eigentlich dazu nutzen, um mit meinen Freunden über alles zu reden und dann eine Entscheidung zu treffen. Ich wollte mir darüber klar werden, was ich will und ob es sich noch lohnt, um etwas zu kämpfen, was offensichtlich keine Zukunft mehr hat.
Ich wollte mich bei meinen Freunden ausheulen, mit ihnen unbeschwert lachen, mir Ratschläge von ihnen geben lassen und einfach ich selbst sein: Timo Kützer.
Doch jetzt kommt sie her. Nach Griechenland. Nach Athen.
Sie kommt her und nimmt mir sechs Tage meines Urlaubs, während dem ich dankbar sein wollte - dankbar über den Abstand zu ihr. Und ich besaß nicht die Kraft, ihr zu sagen, dass ich das nicht möchte. Dass ich nicht will, dass sie kommt. Dass das ein Urlaub zwischen uns Freunden ist. Dass ich das alles nicht mehr kann.
Stattdessen habe ich ihr gesagt, dass sie vorbeikommen kann und ich mich freue, sie zu sehen. Manchmal habe ich das Gefühl, ein richtiger Waschlappen zu sein.

?Ist das schön hier!? Emmi seufzt laut und lässt ihre Handtasche und diesen furchtbaren Hut auf die Terrasse fallen und lehnt sich über die Brüstung. Ich stelle mich neben sie und folge ihrem Blick. Von hier aus haben wir direkten Blick auf das Meer. Tiefblau liegt es vor uns und so endlos weit. Der Anblick ist wirklich traumhaft.
Das Haus steht direkt am unteren Hang eines Berges in einer kleinen Touristensiedlung. Die Felder sind verdorrt und nur vereinzelt sind Olivenbäume vorhanden. Sonst gibt es hier nur vertrocknete Büsche und verdorrtes Gras. Am Horizont der Ebene unter uns ist das Mittelmeer zu erkennen. Auf den Bildern war der Anblick nicht halb so eindrucksvoll.
?Es ist so schön, wieder am Meer zu sein? sagt Emmi leise neben mir und stützt ihre Unterarme auf das Geländer. ?Wie lang brauchen wir bis zum Strand?? Sie dreht sich über die Schulter um und blickt durch die Terrassentür zu den anderen.
Immanuel stellt seine Tasche und Emmis Koffer auf den Küchenfliesen ab und zuckt mit den Schultern. ?Chris meinte, etwa zehn Minuten.? ?Ist das schön hier!? wiederholt Emmi und strahlt über das ganze Gesicht. Ich sehe es gerne, wenn sie so glücklich ist.
Dann schaut sie auf ihren Koffer. ?Danke? sagt sie leise und Immanuel nickt nur und schaut sich mit den anderen das Innere des Hauses an.
?Wollen wir auch?? frage ich an Emmi gewandt und deute hinter mich auf das Ferienhaus.
Sie zögert kurz und schüttelt dann mit dem Kopf. ?Ich schaue mir lieber noch ein bisschen das Meer an.? Ich muss lächeln. Das ist so typisch Emmi. Während alle irgendetwas erkunden, bleibt sie stehen und schaut auf die Landschaft und auf das Meer; allein und ihren Gedanken versunken.
?Dann bis gleich? Ich drücke kurz ihren Oberarm und gehe dann zu den anderen ins Haus.
?Tolles Haus? stelle ich fest und drehe mich im Wohnbereich einmal im Kreis.
?Finde ich auch? stimmt mir Frieda zu, während sie den Kühlschrank mit den Lebensmitteln füllt, die sich auf der Fahrt angesammelt haben. Mit einem leisen Stöhnen steht sie auf und schaut sich ebenfalls um.
Der Wohnbereich ist nur durch eine Theke von der Küche getrennt. Das Bad ist direkt nebenan und eine Treppe führt hoch zu den Schlafräumen. Insgesamt nur drei. Doch etwas noch Größeres hätten wir uns wirklich nicht leisten können. Immerhin kann man die Couch im Wohnzimmer ausklappen, auch wenn ich die Vermutung habe, dass wir diese nicht brauchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir auf engem Raum ein paar Tage verbringen.
?Das war echt ein Glücksgriff? Chris kommt mit Joschi und Immanuel die Treppe wieder herunter. ?Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass wir uns sowas leisten können? Kurz stehen wir alle herum und schauen uns das Wohnzimmer nochmal an. ?Schade, dass wir nur vier Tage hier bleiben? seufze ich und lasse mich auf einen der dunkelblauen Sessel fallen. Das ganze Haus ist typisch griechisch eingerichtet. Weiß und viele Blautöne. Mir gefällt?s.
?Immerhin vier Tage? Frieda zuckt mit den Schultern und lehnt sich gegen die Küchentheke. ?Endlich mal wieder ein eigenes Zimmer? Sie wirft Chris einen verliebten Blick zu.
?Ihr seid ja widerlich!? ziehe ich die beiden auf und kassiere dafür eine vernichtenden Blick von Frieda. Sofort hebe ich kapitulierend die Hände. ?War ja nur ?n Spaß? ?Wie wollt ihr das mit den Zimmern eigentlich machen?? fragt Chris.
Wir starren uns ahnungslos an, bis Immanuel trocken bemerkt: ?Joschi pennt einfach bei euch in der Mitte und wir anderen haben unsere Ruhe? Ich fange an zu lachen und muss nur noch mehr kichern, als ich Chris? Blick sehe.
?Also ich möchte nicht auf die Couch!? ruft Emmi von draußen. Anscheinend hat sie unser Gespräch gehört.
?Das war klar, Ems? bemerkt Frieda und in Gedanken muss ich ihr zustimmen. Niemals könnte man Emmi auf das Sofa im Wohnzimmer verfrachten.
?Wir werden schon alle in Zimmern unterkommen? ?Ich hatte noch nie Joschi als Zimmerpartner? stelle ich fest und strecke Joschka den Daumen entgegen.
?Lasst uns bitte erstmal was essen? wirft Emmi ein, während sie zu uns kommt und wie auf Kommando fängt ihr Magen an zu knurren. ?Und ich möchte an den Strand?

Ein paar Stunden später liegen wir alle faul und vollgefressen am Strand herum. Mein Handy neben mir vibriert die ganze Zeit. Maria schreibt, doch der Moment ist viel zu schön, als dass ich ihn mir von ihr zerstören lassen möchte.
?Dein Handy nervt? bemerkt Immanuel kühl und setzt sich seine Ray Ban auf die Nase, bevor er sein Buch wieder aufschlägt.
?Ich mach?s aus? Ich setze mich auf, schalte mein Handy aus und schaue auf das Meer. Frieda und Chris sind schwimmen, Joschka baut eine Sandburg und Emmi rennt mit ihrem Hut in der Hand über den Strand und sammelt Muscheln.
?Ist Emmi mir böse??
Immanuel schaut zu mir herüber, doch durch die getönten Gläser kann ich seinen Blick nicht erkennen. ?Warum fragst du sie das nicht selbst?? Ich zucke nur mit den Schultern. Ich hasse es, Emmi zu enttäuschen. Ich hasse es, wenn sie böse auf mich ist. Vor allem, wenn ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. ?Manchmal lügt sie, um nicht zuzugeben, dass sie etwas verletzt oder enttäuscht hat? ?Ich weiß? Immanuel legt sein Buch weg und setzt sich ebenfalls auf. ?Aber sie ist dir nicht böse. Zumindest wenn du das mit Maria meinst. Du kennst Emmi doch. War sie jemals lange böse?? Ich lache und schüttele mit dem Kopf. ?Nein, nie? Dann verstumme ich wieder und schweige einen Moment. ?Unser Urlaub ist klasse. Das ist genau das, was ich gerade brauche? ?Ich glaube, diesen Urlaub können wir gerade alle gebrauchen?






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