Wie eine einzige Sommernacht - Teil 8

Autor: NoNo
veröffentlicht am: 25.02.2013


Timo

Unser Hostel ist ganz am Rande der Stadt. Das Zimmer, das wir gebucht haben, zeigt direkt auf das blaue Meer und ich muss zugeben, die Aussicht ist beinahe atemberaubend schön. Allerdings dringt sogar bis in die Zimmer der modrige, ein wenig nach Fisch riechende Gestank der Stadt. Venedig ist nicht nur bekannt für seinen Maskenball und für seine Schönheit, sondern auch für den unverwechselbaren Geruch.
Ich werfe meinen Rucksack auf das obere Bett von einem der drei Doppelstockbetten und ziehe mich beinahe zeitgleich hoch. Ich bin froh, dass ich für einen Jungen nicht sonderlich groß bin, sonst hätte ich mir jetzt eben den Kopf gestoßen.
Immanuel steht missmutig vor den Betten, seufzt und hebt eine der oberen Matratzen auf den Boden. Ich muss schmunzeln.
„Was soll’n das werden?“ fragt Chris und zieht skeptisch die Brauen zusammen.
Immanuel dreht sich zu ihm um und zuckt mit den Schultern: „Ich bin fast zwei Meter groß, und in dieses Bett passt von der Länge her gerade mal Emmi“
Emmi öffnet empört den Mund, unterdrückt jedoch einen bissigen Kommentar und stellt ihre Reisetasche ab. Sie weiß selbst, dass sie im Vergleich zu Immanuel ein Zwerg ist.
Frieda kommt als Letzte ins Zimmer, mit dem Schlüssel in der Hand. „Der Typ vom Hotel meinte, dass wir in zwei Tagen spätestens um zehn Uhr ausgecheckt haben müssen“ Ihr Blick fällt auf Immanuel und sie grinst spöttisch: „Bist du mal wieder zu groß für die südländischen Betten?“
Er verdreht nur die Augen, klemmt sich Handtuch und Duschgel unter den Arm und verschwindet mit den Worten: „Ich geh’ duschen“ aus dem Zimmer.
„Huch, der hat ja wieder eine Laune“ kurz schaut Frieda ihm verwundert hinterher, dann holt sie einen Reiseführer von Venedig aus ihrem Jutebeutel und drückt ihn Emmi in die Hand. „Da kannst du schon mal schauen, was du alles fotografieren magst“ Sie zwinkert ihrer besten Freundin zu und Emmi lässt sich auf das Bett unter mir fallen. Emmi unter mir – ein interessanter Gedanke. Ich muss grinsen.
Während sie den Reiseführer aufschlägt, schaut sie zu Chris und meint leise: „Vielleicht solltest du ein wenig Eis auf dein Auge packen. Das sieht übel aus“
„Und? Hast du zufällig welches dabei?“ ist Chris’ Gegenfrage und ich sehe, wie Emmi zusammenzuckt. Doch ich weiß, dass Chris es nicht so schroff meint, wie er es gesagt hat.
„Nein, natürlich nicht“ entgegnet sie. „Aber wir können vielleicht mal den Kerl von Rezeption fragen. Vielleicht kann er uns helfen“
„Nein, das geht schon“
„Bist du dir sicher?“
„Ja. Und jetzt hör’ auf, dir Sorgen zu machen!“
Emmi verstummt und blättert weiter den Reiseführer durch. „Diese Brücke sollten wir uns ansehen“ bemerkt sie nach einer Weile und ich beuge mich mit dem Oberkörper über das Bett, sodass ich sie sehen kann.
„Sieht aber bequem aus, Timo“ lacht Joschka leise und gähnt noch einmal herzhaft. Er hat die ganze Autofahrt über geschlafen und ist trotzdem noch müde. Manchmal verstehe ich ihn wirklich nicht.
„Mega!“ kommentiere ich nur und wende mich dann zu Emmi. „In Venedig gibt es ja auch so wenig Brücken“
Ich sehe das Blitzen in ihren Augen und allein dafür lohnt es sich, sie aufzuziehen. Ich liebe ihren herausfordernden Blick und ihre teilweise zickige Art. Sie hat keine Scheu, ihre Meinung zu sagen. Und genau deshalb ist sie meine beste Freundin.
„Nein, du Held! Ich meine diese besondere Brücke, für die Venedig bekannt ist“ Sie blättert weiter durch das Buch um die Brücke zu finden, denn offensichtlich fällt ihr der Name nicht ein.
„Du meinst die Ponte di Rialto“ hilft ihr Joschka auf die Sprünge und sie nickt eifrig.
„Genau. Und natürlich müssen wir uns den Markusplatz anschauen!“
„Oh je, Emmi. Hat deine Kamera eigentlich genügend Speicherkapazität für all diese Sehenswürdigkeiten?“
Sie schaut an mir vorbei zu Joschka und ihr Blick nimmt einen gewissen Stolz an. Vor etwa einem Jahr hatte sie genügend Geld gespart und sich eine Spiegelreflexkamera gekauft. Seitdem sieht man Emmi nur noch selten ohne Kamera.
„Natürlich!“ sagt sie nur und beginnt in ihrer Reisetasche nach Handtuch und Shampoo zu suchen. „Es ist nervig, dass wir nur eine Dusche haben“
„Besser als keine“ bemerkt Frieda und kichert leise. „Ich weiß noch, als Chris und ich in Frankreich waren. Campingplatz und keine funktionierende Dusche. Kannst du dich daran noch erinnern, Schatz?“ Sie schaut fragend zu Chris, welcher mittlerweile im Bett liegt und sich die Hand über die Augen gelegt hat. Er muss einen ordentlichen Kater haben. Hätte ich auch, wenn ich so viel gesoffen hätte, wie er. Eigentlich wäre ich gerne länger sauer auf ihn gewesen, doch wenn er so leidend daliegt, kann ich ihm nicht mehr böse sein.
„Wie könnte ich das vergessen“ knurrt er und schüttelt mit dem Kopf. Doch er erzählt die Geschichte nicht weiter. Und auch Frieda schweigt. Wahrscheinlich haben die beiden einfach ein paar Tage nicht geduscht oder so. Ich würde es beiden zutrauen.
„Wie lang braucht denn Immanuel mit duschen?“ fragt Emmi und stöhnt auf. Sie muss wirklich genervt sein, wenn sie Immanuel bei seinem vollen Namen nennt.
„Keine Ahnung. Ich hab’ Hunger“ Joschka.
„Mir tut der Kopf weh“ Chris.
Ich lasse mich wieder nach hinten auf die Matratze fallen und meckere ebenfalls: „Es ist viel zu heiß“
„Gott, seid ihr Jammerlappen!“ spottet Frieda und bewirft mich mit einem Kissen und alle fangen an zu lachen, sogar ich. Doch mein Lachen wird von dem Kissen auf meinem Gesicht erstickt.

„Ich habe einen Bärenhunger, das glaubt ihr mir nicht!“ Mein Magen knurrt als Bestätigung.
Die Sonne beginnt schon wieder unterzugehen und auch das Klima ist nicht mehr so drückend heiß, wie heute Mittag.
Als Immanuel aus der Dusche kam, legte er sich wortlos auf den Matratze auf den Boden und schlief ein, ebenso wie Chris, welcher wohl seinen Restalkohol noch ausschlafen musste.
So kam es, dass Emmi weiter den Reiseführer studierte, und nun die ganze Stadt kennt und wir erst gegen abends aufbrechen konnten.
„Ich habe auch Hunger“ Joschka hält sich klagend seinen Bauch und ich erinnere mich daran, wie er früher einmal ausgesehen hatte. Er hatte ein paar Kilo zuviel, eine nerdige Brille und trug T-Shirts von Iron Maiden. Heute ist er trainiert, trägt Kontaktlinsen und zieht die Iron Maiden Shirts nur noch zum Schlafen an.
Als damals seine erste große Liebe, Mariella, mit ihm für einen Anderen Schluss gemacht hat, begann er sein Leben umzukrempeln. Wir machten zusammen Sport, gingen zusammen weg, und ich ging sogar mit ihm einkaufen. Und jetzt sieht Joschka wirklich verdammt gut aus – mit den Frauen klappt es trotzdem nicht auf Dauer. Dabei will ich gar nicht wissen, mit wie vielen er schon geschlafen hat. Doch es wird immer nichts Ernsthaftes daraus.
Ich schaue auf mein Handy, das vor ein paar Sekunden in meiner Tasche vibriert hat, und überfliege nur kurz die SMS von Maria. Es steht das Übliche drin: sie nennt mich Schatz, sie fragt wie es mir geht, sie sagt mir, dass sie mich vermisst und dass sie mich liebt. Und doch erwärmt mein Herz bei dieser SMS nicht. Beinahe ist es mir egal. Und dieser Gedanke erschreckt mich. Ich liebe Maria – oder liebte ich sie?
„Was schaust du so missmutig?“ reißt mich Emmis Stimme aus meinen Gedanken. Und bevor ich antworten kann, fährt sie fort: „Es ist wegen Maria, habe ich Recht?“
Ich zögere eine Weile. Ich weiß, dass Emmi meine Freundin nie gemocht hat. Aus welchem Grund auch immer. Vielleicht sind die beiden einfach zu verschieden, um sich zu mögen.
Schließlich zucke ich mit den Schultern und frage sie: „Gefühle können doch nicht einfach verschwinden?“
„Bei Frieda und Chris nicht, bei allen anderen schon, befürchte ich“
„Befürchtest du?“ Ich ziehe skeptisch die Brauen nach oben und sie beginnt herzhaft zu lachen und wirft den Kopf in den Nacken, sodass ihre Haare ihr über den Rücken fallen. „Du redest hier mit mir, Timo! Meine längste Beziehung ging keine zwei Wochen. Ich würde dir gerne helfen, aber ich denke, ich bin der falsche Ansprechpartner“ Sie lächelt mich entschuldigend an und zuckt hilflos mit den Schultern.
Ich will etwas Nettes erwidern, als sich Frieda zu uns umdreht: „Worüber lachst du so?“ Sie schaut zu Emmi. „Hat Timo einen Witz gemacht“
Ich schüttele hastig mit dem Kopf und sage: „Nein, wir haben nur geredet“
„Achsooo“ Frieda zieht das Wort unnötig in die Länge, dreht sich wieder um und zeigt dann auf ein Restaurant, das sich direkt am Hafen befindet, mit Aussicht auf eine wunderschöne, weiße Yacht. Das Essen dort wird nicht ganz billig sein.
„Teuer?“ fragt Immanuel nur und zieht skeptisch eine Braue nach oben.
„Wir können auch wieder zu McDonalds“ bemerkt Frieda spöttisch, denn sie kennt Immanuels Abneigung gegen McDonalds und Burger King.
Er beginnt zu grinsen und gibt nach. „Na gut, was soll’s“

Als wir das Lokal verlassen – ich habe für stattliche zwanzig Euro gegessen – bin ich so voll gefuttert, dass ich nicht mal mehr an Essen denken kann, ohne dass mir schlecht wird.
„Ich kann nie wieder essen“ spricht Frieda das aus, was ich denke. Ein zustimmendes Murmeln ertönt von uns allen.
Mein Handy vibriert wieder in meiner Hosentasche und ich ahne schon, von wem diese SMS sein wird. Entweder von meiner Mutter, welche vor Sorge beinahe umkommt oder von Maria. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und werfe nur einen kurzen Blick drauf. Maria.
Ohne darüber nachzudenken, schalte ich das Telefon aus.
„Vielleicht solltest du sie nicht ignorieren“ bemerkt Immanuel, welcher neben mir läuft. „Das macht es nicht besser, wenn du die Beziehung nicht aufgeben willst“
„Ich müsste mit ihr reden“ gebe ich zu. „Doch ich kann nicht. Zumindest jetzt nicht“
„Am Ende spürt sie dich auf und reist dir nach!“ witzelt Chris und ich lache, doch der Gedanke ist gar nicht so abwegig. Ich würde es Maria auf jeden Fall zutrauen.
„Der Kerl hat dir wirklich seine Nummer gegeben?“ höre ich Frieda auf einmal Emmi fragen und bin froh über diesen unbeabsichtigten Themenwechsel.
Emmi errötet und faltet den Zettel, auf dem die Telefonnummer des italienischen Kellners steht, zusammen. „Ich weiß auch nicht, warum“
„Jetzt tu’ doch nicht so, Emmi!“ lacht Joschka. „Du weißt es genau“
Sie wirft ihm einen fragenden Blick zu, doch jeder andere weiß, was er meint. Emmi ist eben Emmi; sie sieht gut aus; sie ist süß; sie wirkt so hilfsbedürftig, dass sich bei jedem der Beschützerinstinkt einschaltet – sogar bei Immanuel. Emmi ist eben einfach Emmi.
„Du bist heiß, Emmi. Und das weißt du auch“ erläutert Joschka knapp und zwinkert ihr beinahe anzüglich zu, doch sie weiß, wie sie sein Verhalten zu deuten hat. Sie schlägt spielerisch nach ihm und verdreht nur die Augen und trotzdem sagt sie leise: „Danke“
„Also, Leute, ich bin müde. Wir werden zum Hostel zurückgehen“ Chris bleibt stehen und legt den Arm um Friedas Schulter. „Wie steht’s bei euch?“
„Ich will auch schlafen“ stimmt Joschka zu und gähnt laut und auch ich merke, dass ich nach dem vielen Essen einfach nur noch rumliegen und schlafen will.
„Ich würde mir gerne noch diese Brücke anschauen“ meint Emmi und ich werfe ihr einen überraschten Blick zu: „Jetzt? Es ist schon dunkel!“
„Dann sieht die Ponte di Rialto bestimmt wunderschön aus“
„Und so romantisch!“ beginnt Chris über Emmis Träumereien zu spotten.
„Ach, geh’ schlafen!“ lachte sie über seinen Spott. „Ich schaue mir die Brücke auch allein an“
„Kannst ja deinen Kellner anrufen“ kichert Frieda und Emmi verdreht nur die Augen, als Immanuel sagt: „Ich komme mit. Ich bin noch wach“
Zum Abschied drücke ich Emmi an mich und warne sie: „Weck’ mich nachher nicht. Ich bin hundemüde!“
Sie zieht herausfordernd die Brauen nach oben, erwidert aber nichts auf meinen Kommentar.
Bis auf Immanuel und Emmi gehen wir langsam zurück, Richtung Hostel. Ich drehe mich noch mal über die Schulter um und blicke zu den beiden zurück. Mir kommen Friedas Worte wieder in den Sinn. Friedas Worte darüber, ob zwischen den beiden etwas ist. Und auf einmal bin ich mir meiner Verneinung nicht mehr so sicher.






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