Gestern, heute, morgen - Eine Liebe für die Ewigkeit

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 25.10.2012


Kapitel 1

Am Horizont zeichnete sich bereits eine breiter roter Streifen ab, der die Dunkelheit langsam lichtete und den Tagesanbruch ankündigte. Der feuerrote Ball stieg majestätisch empor, um die Herrschaft zu übernehmen. Wie eine Armada fielen die Sonnenstrahlen über die Dunkelheit her und trieben sie in die Knie. Der Schatten wich zurück und schlich über die Straße, die weißen Häuser mit den roten Dächern, über die Zäune und begrünten Wiesen. Schon bald erreichte er den Rand des Dachs unseres Hauses und ich sah ihn dabei zu, wie er zurückwich und sogleich blendeten mich die ersten Sonnenstrahlen. Ich schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken und ließ mich von der morgendlichen Sonne liebkosen.
Ich war froh, dass die Nacht vorbei war, aber auf den Tag konnte ich mich auch nicht freuen. Gestern, ja. Gestern war es noch anders und ich war voller Vorfreude auf den heutigen Tag. Eigentlich wollten heute meine bester Freundin Mila und ich shoppen und danach noch ins Kino. Das hatten wir bereits vor Tagen abgemacht und es tat mir in der Seele weh, ihr heute absagen zu müssen.
Aber nach dieser Nacht wird nichts mehr so sein wie vorher. Eine Nacht, eine einziger Traum und mein Leben wurde auf den Kopf gestellt und schon bald würde ich nicht mehr da sein. Diese Erkenntnis trieb mir die Tränen in die Augen, die ich bereits seit einigen Stunden immer wieder runterschluckte.
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und fing an zu weinen.
Immer wieder kehrten die Bilder des Traumes in mein Gedächtnis zurück und schmerzten immer wieder aufs Neue. Mein Schmerz legte sich wie ein Schleier über mich und ich war nicht in der Lage ihn abzunehmen und er drohte mich zu erdrücken.
Ich war geschwächt von der Gewissheit, von der Wahrheit, von der Tatsache meines baldigen Ablebens und ich wusste mir nicht weiterzuhelfen, weil die Machtlosigkeit und Verzweiflung mich übermahnte.
Das Summen meines Weckers ließ mich aufschrecken. Es war Zeit aufzustehen, sich fertig zu machen und in die Schule zu gehen. Doch war ich dafür bereit? Aus dem Haus gehen, als ich daran dachte, lief es mir kalt den Rücken runter. Dann müsste ich Menschen begegnen. Auf dem Weg zur Bushaltestelle und auch im Bus, auch in der Schule. Mir wurde kalt und heiß zugleich. Auf meinem Weg zur Schule könnte ich auch dem Menschen begegnen, der mir der liebste und verhasste zugleich war. Mit seinem Eintreten in mein Leben, hatte ich nur einpaar Tagen, einpaar Wochen, wenn ich Glück hatte, einpaar Monate. Aber da ich es hier mit dem Schicksal höchstpersönlich zutun hatte, ging ich von einpaar Tagen aus.
Mit diesem bedrückenden Gedanken kletterte ich durch das Fenster in mein Zimmer zurück und verkroch mich in mein Bett, ignorierte das Summen des Weckers. Mit geschlossenen Augen lag ich da und zählte von hundert abwärts, um wieder ins Reich der Träume zu versinken. Vielleicht war das alles nur ein böser Traum und ich brachte nur aufzuwachen, mich schütteln und alles zu vergessen.
“Guten Morgen mein Schatz.” - wie auch jeden Morgen spazierte meine Mutter in mein Zimmer, schaltete den Wecker aus. “Aufwachen.” - sie beugte sich über mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Das war sozusagen ihr morgendliches Ritual seit ich 3 Jahre alt war. Und auch jetzt 14 Jahre später hatte sich nicht viel verändert.
“Guten Morgen.” - gab ich zurück. Obwohl mich -mit meinen jetzt 17 Jahren- diese Angewohnheit ihrerseits störte, sagte ich nichts. Und heute war ich sogar dankbar, für diese alltägliche Sache, weil sie eine Gewohnheit war. Und Gewohnheit hieß keine Veränderung.
“Hast du gut geschlafen?” - wollte sie wissen.
“Nein.” - gab ich zurück und setzte mich auf. “Ganz schlecht geschlafen.” - sagte ich und bereute es sogleich, als ich den besorgten Ausdruck in den Augen meiner Mutter sah. Sie kam auf mich gestürmt und legte ihre Handfläche auf meine Stirn.
“Bist du etwas krank?” - meinte sie und tastete mein Gesicht nach Anzeichen einer Erkältung ab. “Fieber hast du nicht.” - stellte sie fest.
“Ich habe nur schlecht geschlafen.” - gab ich zurück und stand ruckartig auf. “Ich bin nur etwas müde.”
“Willst du vielleicht Zuhause bleiben? Ich kann dich auch gleich zum Arzt bringen.” - schlug sie vor.
“Mama.” - rügte ich sie etwas genervt. “Ich bin nicht krank.”
“Wie du meinst, aber wenn es dir in der Schule schlecht werden sollte, dann rufe sofort an, ich hole dich dann ab.” - sagte sie nur.
“Ja, ja.” - ich schlenderte an ihr vorbei ins Badezimmer. Dort streifte ich meiner Kleider von meinem Körper und schaute kurz in den Spiegel über den Waschbecken. Kein Wunder, dass meine Mutter der Annahme war, dass ich krank war. Die schlaflose Nacht war an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Abgesehen von meiner körperlichen und geistigen Verfassung, sah ich einfach schrecklich aus. Dunkele Ringe unter den Augen, bleiches Gesicht, strohige Haare. Angewidert von meinem eigenen Anblick wandte ich mich ab und duschte erstmal ausgiebig. Als ich mich wieder von dem Spiegel wiederfand, war er beschlagen und so musste ich den Anblick nicht ertragen. Ich putzte mir schnell die Zähne und kehrte in mein Zimmer zurück. Meine Mutter war zu meinem Glück nicht mehr da und ich musste mich nicht rechtfertigen oder sie davon überzeugen zu müssen, dass ich nicht krank war.
Nachdem ich mein Haar gefönt und mich angezogen hatte, kam ich nun nicht umher, erneut in den Spiegel zu sehen. Auch nach der Dusche sah ich immer noch schrecklich aus. Mit reichlich Make-Up und Puder versuchte ich mich wieder ansehnlicher zu machen. Als auch nach 20 Minuten nicht das gewünschte Ergebnis erreicht wurde, ließ ich einfach einige Strähnen meiner Haare um das Gesicht fallen.
Von einem weiteren Blick ich den Spiegel sah ich ab, nahm meinen Rucksack und lief runter in die Küche.
Wie auch jeden Morgen war der Tisch bereits gedeckt und einpaar lecker duftende Pfannkuchen warteten auf meinem Platz auf mich. Darauf freute ich mich jeden Morgen, ich liebte einfach die Pfannkuchen meiner Mutter, doch heute löste ihr Duft Brechreiz bei mir aus.
“Ich muss los.” - sagte ich dann ganz schnell, nahm einen Schluck Orangensaft, küsste meine Mutter rasch auf die Wange und verließ eilig das Haus. Noch konnte ich hören, wie sie mir irgendwas hinterher rief, doch dann fiel die Tür ins Schloss.
An der Bushaltestelle, nur einige Meter von meinem Elternhaus entfernt, wartete bereits Mila auf mich. Als sie mich erblickte, winkte sie mir energisch zu.
“Hi.” - sie lächelte mich an und drückte mich an sich. “Wie geht es dir?”
“Hi.” - gab ich zurück. “Ganz gut.”
“Also heute gegen 16 Uhr komme ich dann zu dir und dann …” - mitten im Satz fiel ich ihr ins Wort.
“Ich kann heute nicht.” - sagte ich schnell und sah weg. Ihr enttäuschter Gesichtsausdruck wäre jetzt zu viel für mich. Ich war ohnehin am Boden und ihre Enttäuschung wäre mein Ende.
“Das ist aber … schade.” - sagte sie dann. “Wie sieht es morgen aus?” - meinte sie dann und ein Lächeln erhellte wieder ihr Gesicht.
“Kann ich auch nicht.” - sagte ich und dann kam auch der Bus. “Ich kann die ganze Woche nicht.” - meinte ich und stieg ein.
Die ganze Fahrt zur Schule sah ich aus dem Fenster und ließ mich auf kein Gespräch mit Mila ein. Natürlich war es gemein von mir, aber ich war einfach nicht in der Lage. Ich hatte viel größere Probleme, als ihre Lappalie mit Henry, der nicht mal wusste, dass sie existierte. Bald existierte ich nicht mehr.
In der ersten Stunde hatten wir Geschichte. Im Klassenraum angekommen setzten wir uns auf unsere Plätzen und erneut vertiefte ich mich in meine Gedanken.
“Guten Morgen allesamt.” - begrüßte uns Mr. Duncan und erntete ein müdes und etwas schlappes “Morgen” zurück. “Wir sind heute aber echt gut drauf.” - meinte er sarkastisch und sah auf die Uhr. “Na gut.” - er rieb sich die Hände und sah in die Runde. “Wir hatten in der letzten Stunde den ersten Weltkrieg behandelt.” - fing er an.
“Langweilig.” - rief Tony von ganz hinten und ein Gegackere grollte durch die Klasse.
“Das werde ich dann auch unter ihre nächste Arbeit schreiben, Mr. Lewis.” - gab Mr. Duncan zurück und lächelte nett. “Also …” - fing er an, ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Er seufzte genervt. “Ja, bitte.”
Die Tür ging auf und alle Köpfe drehten sich in deren Richtung. Ein Raunen ging durch die Klasse und es wurde getuschelt. Da sah auch ich mich gezwungen hinzusehen.
Ich schrak zusammen und schnappte nach Luft. Tränen traten mir in die Augen und eine unangenehme Gänsehaut ging durch meinen Körper.
“Sean.” - flüsterte ich leise.
“Mr. Cooper.” - sagte Mr. Duncan währenddessen und legte die Hand um die breiten Schultern den Neuankömmlings. “So zusammen, darf ich vorstellen Sean Cooper, Ihr neuer Mitschüler.” - stellte er den braungebrannten Jungen vor, der mit seinen grimmigen grauen Augen durch die Klassenraum sah. “Setzen Sie sich bitte zu Mr. Lewis.” - der Lehrer schob den neuen Schüler in Tonys Richtung, der jedoch über einen Banknachbarn nicht besonders erfreut schien. Als Sean an mir vorbeiging, spürte ich seinen Blick auf mir, mied es jedoch meine Augen zu heben und ihn ansehen.
“Ist alles in Ordnung mit dir?” - Milas besorgte Stimme brachte mich wieder in Hier und Jetzt zurück.
“Was?” - meinte ich nur perplex.
“Warum weinst du?” - wollte sie wissen und maschinell hob ich meine Hand und berührte meine Wange. Sie war nass. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie die Tränen über mein Gesicht liefen.
“Ich muss hier raus.” - sagte ich und stand auf. Fluchartig verließ ich den Klassenraum, ignorierte die Rufe von Mr. Duncan.
Im Flur kam ich zu mir und atmete tief durch. Jetzt rannten die Tränen in Strömen über mein Gesicht. Das Schicksal gab mir keine Monate, nicht mal einpaar Wochen. Es gab mir nicht mal eine Chance.

Fortsetzung folgt ...





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