Atemzeit.. - Teil 19

Autor: Caprice
veröffentlicht am: 25.08.2012


„Was hat er sich angetan?“
„Ich weiss es nicht, aber es ist nicht gut.“ Die Stimmen von Michael und Zadkiel drangen in mein Bewusstsein. Wie ein dumpfes Pochen, oder leises Flüstern, welches in völliger Dunkelheit, wie Licht aufflackert.
„Du weisst, was wir tun müssen wenn er es nicht kontrollieren kann.“ Zadkiel´s Stimme war ganz nah. Mein Magen zog sich bei seinen Worten zusammen.
„Dazu lasse ich es nicht kommen.“ Erwiderte die andere Stimme hart, wie Granit.
„Vielleicht wirst du keine Wahl haben.“
„Wir haben immer eine Wahl, Zadkiel!“ Schrittgeräusche, die sich langsam von mir entfernten, widerhallten leer und dunkel unter meinen Ohren.
„Wach auf!“ Jemand legte seine Hand auf meine Brust. Eine intensive Wärme, die mir bekannt vorkam, schmolz, wie flüßige, warme Butter durch mich hindurch.
„Komm schon! Wach auf!“
„Na endlich. Schön, dass du wieder bei uns bist.“ Sagte Michael, als ich meine Augen langsam öffnete. Eine schicksalhafte Ironie lag in seiner Stimme, die sich in den Wänden dieser Höhle widerzuspiegeln schien, auf dessen Boden ich, wenig vorteilhaft, lag. Unter mir hatte jemand seinen Trenchcoat ausgefaltet, der an manchen Stellen von Schmutz und getrocknetem Blut, von dem ich glaubte, dass es meines war, gespickt war. In der Luft lag ein leichter Geruch von Kupfer und Erde. Michael´s Gesicht erstreckte sich schimmernd schön vor mir. Mir fiel auf, dass es perfekt geschnitten war. Seine Haut hatte die Farbe von durchscheinendem, warmen Sand. Ich schaute an mir runter, als wolle ich mich vergewissern, ob ich noch da und an einem Stück bin. Das Hemd, dass ich trug, war von Rissen und Brandmalen übersäht und teilweise völlig zerfetzt. Die Stelle auf der Michael´s Hand ruhte, war frei von Stoff, der mittlerweile nicht mehr weiß, sondern eine undefinierbare, geschmolzene, bronzeähnliche Farbe angenommen hatte. Ich starrte ihn mit offenem Mund an. „Was ist passiert?“ Frage ich und merke, dass meine Stimme heiser klingt. Mein Hals fühlt sich trocken und wund an, als hätte ihn jemand mit Stahlwolle gescheuert. Michael richtete seinen trüben Blick in meine Augen. Schwammige Erinnerungsfetzen jagen durch mein Innenleben. Ich zuckte zusammen, als das kehlige Lachen in meinem Kopf aufhallte, dass nicht nach meiner Stimme, sondern nach der eines Fremden, eines Unbekannten, klang. Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück. Wohlwissend, dass ich es war, der auf dem Felsvorsprung gelacht hatte, wie irgendein Irrer kurz vorm Schuß, wandte ich meinen Blick von Michael ab.
„Was geschieht mit mir?“ Frage ich und höre die Verzweiflung, die mit meiner Stimme, an die Oberfläche sickert. Mein Blick gleitet auf meine Hände. Ich schüttelte den Kopf. Sie waren von Brandblasen überzogen und Blut verschmiert. Nicht mein Blut, denke ich und schlucke nur noch heftiger. Michael legte den Kopf in den Nacken und seufzte schwer. „Es ist, wie ich gesagt habe. Wir sind für menschliche Gefühle nicht geschaffen. Mit der Liebe hast du auch anderen Emotionen eine Tür in dein Bewusstsein geöffnet. Zorn. Wut. Hass. Sie sind es, die dich beeinflussen, aber du kannst lernen sie zu kontrollieren. “ Ich lasse meinen Blick durch die Höhle schweifen. Es war nicht fair. Nicht gerecht. So war das Leben also. Ob ich hier bin oder nicht. Ich unterlasse die Frage, nach dem Warum.
„Was wenn ich es nicht kann?“ Frage ich stattdessen und verharre in seiner anmutigen Bewegung, die mich verstummen läßt.
„Dann wirst du fallen.“ Sagt er leer und richtet den Blick nach draußen. Seine Worte fühlen sich an, wie ein Messer, mit dem er wieder und wieder zustichst. „Du wirst zu einem Gefallenen.“ Ganz langsam, setze ich mich auf. Zadkiel, Raziel und Caprice schienen unendlich weit weg. Ihre Stimmen ertönten, wie ein leises Echo, aus dem Tunnelgeflecht, das sich hinter uns ausdehnte.
„Ein gefallener Engel, also-“ Ein erstickendes Gefühl in meinem Hals, der sich unendlich trocken anfühlte, würgte das Ende des Satzes ab.
Ich keuchte und japste nach Luft. Michael fuhr herum, kniete sich vor mich und legte zwei Finger, Zeige- und Mittelfinger, auf meine Kehle. Dass Innere seiner Augen, mit denen er mich fixierte, weitete sich abnormal, bis sie beinahe vollkommen schwarz aussahen. „Aer,“ flüsterte er, mit seltsam klingender tiefer Stimme. Meine Atemwege wurden bin in sekunden frei. Gierig sog ich die klare, kühlende Kraft in meine Lunge, bis dass Aufblähen der Lungenflügel schmerzte.
„Danke,“ stöhnte ich. „Merk dir den Zauber.“ Sagte er und hob eine Augenbraue. Dann tat er etwas, was ich noch nie bei ihm gesehen habe. Er lächelte. Ein schiefes, perlweisses, geschwungenes Lächeln malte sich auf sein Gesicht und verhöhnte den Rest dieses Szenarios.
„Hey, du bist ja wach!?“ Ich drehte den Kopf der Stimme hinter meinem Rücken entgegen. Caprice. Ich mochte die Art, wie sie mich ansah. Wie nach einem langen, anstrengenden Tag. Du bist müde und deine Knochen tun dir weh, doch dann kannst du es sehen. Du siehst die ersten Sonnenstrahlen, den Horizont durchbrechen. Die Ersten eines jeden Morgens. Du siehst die Sonne, und wie sie langsam, umgeben von einem zarten rosa, aufgeht, den Himmel um dich erhellt. Und dann. Aus irgendeinem Grund, weisst du, tief in dir, dass alles gut werden wird, deine Sorgen unbegründet sind und mit dem Wind, der sanft in deinen Haaren weht, verfliegen. So war sie für mich. Ist es noch. Genau in diesem Moment. Mein Sonnenaufgang. Meine Hoffnung. Mein Morgen.
„Noch nicht lange.“ Antworte ich und gab mir alle Mühe, gleichmäßig zu Atmen und meine Euphorie zu überspielen, für die ihr Anblick verantwortlich ist.
„Geht es dir denn besser? Du sahst schrecklich aus.“ Ich war gleichzeitig wütend und traurig, dass sie mich A. So sehen musste und B. Sich meinetwegen sorgen machte. Es tat mir weh, ihr zuzusehen, wie sich ihr Gesicht besorgt verzog.
„Ja, man hat sich gut um mich gekümmert.“ Sage ich schnell, setze ein verspieltes Lächeln auf meine Lippen und schaue zu Michael, der wieder an meiner Seite war. Mit einem Ruck, zog er mich von der Erde. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Zadkiel und Raziel nervöse Blicke austauschten. Auch Michael wirkte für einen Moment abwesend.
„Stimmt etwas nicht?“ Frage ich verunsichert.
Zadkiel runzelte die Stirn und schürzte die Lippen.
„Es sind unsere Brüder. Ich kann sie hören. Irgendetwas stimmt nicht.“ Ehe ich auch nur dazu komme, Zadkiel zu antworten, war dieser auch schon verschwunden. Puff und weg. Verwirrt tausche ich einen Blick mit Michael aus. Er sah mich eindringlich an. „Er wird bald zurück sein.“ Sagte er knapp, als er meinen fragenden Gesichtsausdruck sah. Seine Stimme hatte einen angespannten Unterton und seine Miene verschärfte sich. „Zurück wo von?“ Fragte Caprice mit verwirrter Miene und starrte auf die Stelle, an der Zadkiel sich gerade in Luft aufgelöst hatte. „Aus dem Himmel.“ Antwortete Raziel und legte den Kopf zur Seite. Seine Stirn lag in Falten und seine Augen kniffen sich gespannt zusammen, als würde er jemandem zuhören. Dann wurde seine Miene plötzlich steif.
„Das ist nicht gut Michael. Sie wissen, was er getan hat.“ Sagte Raziel. Sein Blick schweifte zu mir. Ich schluckte und mein Magen zog sich krampfhaft zusammen.






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