Gifted - Die Befreiung - Teil 37

Autor: Aven
veröffentlicht am: 24.09.2013


Hi liebe Leser,
jetzt folgt endlich Teil 37. Ich dachte selbst schon nicht mehr, dass mich Mal wieder die Inspiration packt. Ich hoffe, ihr bleibt trotzdem dabei und lest weiter, viel Spaß dabei,

Aven




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„Ich… ich…“ stammelte Aurelia, unfähig über jegliche Konsequenzen nachzudenken, wenn sie sich von einem von beiden abwenden musste. Sie ließ die Linke sinken und drückte sie in die Decke. Vielleicht half Schreien oder Brüllen, oder eine Ohnmacht vortäuschen… Sie fühlte eine heftige Beklemmung und den Wunsch, diesem Augenblick so schnell wie möglich zu entkommen. Das ganze Laufen, real und vor sich selbst, hatte sie wohl zum Fluchttier gemacht.
„Ich kann das nicht entscheiden. Nicht jetzt und nicht so. Das ist alles so viel und plötzlich und…“ sie brach verzweifelt ab und beobachte wie er den Aufruhr in ihrem Körper in sich aufsog.
Beide wandten sie die Köpfe zur Tür, als es laut klopfte und Syrus kurz darauf erschien.
Er schob einen kleinen Wagen, auf dem Verbandsmaterial und andere medizinische Gerätschaften aufgehäuft waren.
„Hallo Aurelia. Wie fühlst du dich?“ fragte er in die gespannte Stille hinein und kam langsam auf das Bett zu, wobei er das fahrbare Wundversorgungsmobil hinter sich herzog. Er schien sich nicht bewusst zu sein, auf welcher Party er gerade ungebeten erschienen war.
Nur mit Mühe konnte Aurelia sich jetzt auf eine ärztliche Konsultation konzentrieren, aber sie war doch eine willkommene Ablenkung von der problematischen Wendung, die ihr Gespräch genommen hatte.
„Besser, denke ich. Aber ich bin kein Arzt.“ Und die Schmerzmittel überdeckten wahrscheinlich alles, was noch von den körperlichen Strapazen übrig geblieben war. „Vielleicht brauche ich das hier nicht mehr.“ Hoffnungsvoll wies sie mit dem Daumen auf das Gerät neben ihrem Bett. Das Zeug machte sie ganz schummrig im Kopf und gerade jetzt sehnte sie sich nach Klarheit.
Dante erhob sich langsam. „Dann lasse ich euch Mal alleine.“ Ihr Gegenstück akzeptierte wohl, dass jedes weitere Drängen in diesem Moment sinnlos war und wechselte geschickt die Strategie. „Bestimmt werde ich noch eine Weile auf der Krankenstation festsitzen. Wie wäre es also irgendwann mit einem gemeinsamen Abendessen? Eine Chance habe ich doch wenigstens verdient?“ Er beugte sich vor und einige Strähnen seines schönen Haars fielen ihm dabei auf eine sehr nonchalante Weise in die Stirn. Seine Lippen streiften ihre Wange. Das elektrisierende Gefühl bewirkte, dass sich jedes noch so kleine Härchen an ihrem Körper aufrichtete. Verwirrt und erstaunt blickte sie auf, spürte den Kuss wie eine Brandwunde, nur nicht halb so schmerzhaft. Fast hätte sie die Hand gehoben, um die Stelle zu berühren. Schließlich nickte sie, unfähig ihm ihre Zustimmung zu verweigern. Wie unsichtbare Fäden zwischen ihnen, eine Verbindung, die sich schon jetzt nicht mehr abstreiten ließ. Egal was passieren würde, sie war es ihm und auch sich schuldig, ein paar Antworten zu finden.
„Gute Besserung.“ Er lächelte vorsichtig optimistisch, zwinkerte ihr zu und verließ dann das Zimmer. Sie war selbst überrascht, dass sie das Zwinkern äußerst sexy fand.

Schweigend ging Syrus ans Werk und befreite ihren Arm vorsichtig von den meterlangen Bandagen. Gemeinsam besahen sie die Pflockwunde an der Schulter, die schon weitestgehend verschlossen war. Die kreisrunde Stelle, an der sich die zart rosafarbene, neugebildete Haut schrumpelig zusammen zog, befand sich über der rechten Achsel, nur ein oder zwei Zentimeter unterhalb des Schlüsselbeins.
„Hervorragend.“ kommentierte Syrus ihre Wundheilung. „Selbst für einen Elevender sehr zügig.“ Kurz runzelte er die Stirn, während er ihr forschend in die Augen blickte. Obwohl sie keine telepathischen Kräfte besaß, meinte sie doch, erraten zu können, was ihm in diesem Moment durch den Kopf ging. Anstatt eines weiteren schlauen Kommentars bat er sie, den Oberkörper frei zu machen und zupfte dann das riesige, weiße Pflaster von ihrem Brustbein. Von oben konnte sie nur die untere Hälfte der langen Linie sehen, die bezeugte, dass ihr Thorax geöffnet worden war. Aurelia empfand dabei eine merkwürdige Distanz, als ob ihr Geist sich weigerte, zu akzeptieren, dass ihr das alles passiert war.
„Die Kugel hatte die linke Herzkammer durchstoßen. Du hattest verdammt viel Glück.“ Wieder widmete er sich der Begutachtung der ehemaligen Wunde. „Sehr gut.“ Sanft aber bestimmt bewegte er ihren Arm in alle Richtungen und bat sie dann, es selbst auch noch Mal zu tun. Nachdem sie seine Anweisungen befolgt hatte, setzte Syrus ein selbstzufriedenes Lächeln auf. „Du kannst dich wieder anziehen, das muss nicht mehr verbunden werden. Und in Anbetracht der Fortschritte deiner Genesung, denke ich, können wir die Schmerzmittel tatsächlich absetzen.“ Während er die Schläuche aus ihrem Arm entfernte, betrachtete Aurelia nachdenklich sein Profil. Unweigerlich kehrten ihre Gedanken zu den Steinen und der Situation im Bunker zurück, nun da sie sich offensichtlich in Rekordzeit erholte, was sie wahrscheinlich hauptsächlich Dante zu verdanken hatte. Sie fragte sich unwillkürlich, ob Viktor auch schon öfter von dieser Art von Verbindung profitiert hatte? Entschlossen forderte sie sich selbst zu mehr Konzentration auf. Steine, Bunker.
„Wie steht’s mit den ganzen Tests?“
Sofort verschloss sich Syrus‘ Miene und er gab sich äußerst beschäftigt damit, die medizinischen Gerätschaften abzustellen und zur Seite zu rollen. „Keine nennenswerten Fortschritte.“ brachte er schließlich hervor, während er ihr den Rücken zu wandte.
„Wozu machst du sie eigentlich?“
Nach einem kurzen Moment, in dem er zu überlegen schien, sah er über die Schulter zum Bett. „Das hat viele Gründe. Aber sei versichert, dass ich nur die besten Absichten habe. Wir könnten auf so vielen verschiedenen Wegen von ihnen profitieren, wenn wir sie erst ganz verstehen.“ Die vage Aussage machte Aurelia misstrauisch, obwohl sein Tonfall sehr überzeugend gewirkt hatte.
„Und wie passen dann deiner Meinung nach die Forschungsreihe und die ganzen Spuren, denen wir gefolgt sind, und Gregorowizc ins Bild?“ „Gar nicht.“ kam die knappe Antwort. „Ich glaube, wir übersehen etwas Wichtiges. Es scheint als hätte jemand Brotkrumen für uns ausgestreut, um uns an der Nase herum zu führen und den eigentlichen Zweck der Steine zu verschleiern.“ Aurelia war verdattert. „Der da wäre?“ Syrus zuckte unbestimmt mit den Schultern. „Ich wünschte, ich könnte auch diese Frage beantworten, aber noch konnte ich mit meinen Nachforschungen keinen Durchbruch erzielen.“ „Äußerst aufwändige, überzeugende Brotkrumen.“ entgegnete Aurelia, nachdem sie einen Augenblick über seine Worte nachgedacht hatte. „Was wäre, wenn ich derselben Meinung wäre?“ Nun blickte sich auch Syrus im Raum um, als ob er etwas suchte. Er fühlte sich sichtlich unwohl, aber er kehrte doch zu ihrem Bett zurück und stellte ein kleines Gerät auf dem Nachttisch ab, das er sofort anschaltete.
„Es sendet hochfrequente Störwellen ab, so kann unser Gespräch nicht durch technische Mittel belauscht werden.“ Syrus ließ sich auf demselben Stuhl nieder, auf dem Dante gesessen hatte. Seine Züge wirkten erschöpft und man sah ihm sein menschliches Alter deutlich an. Der weiße Kittel, den er über den dunklen Hosen trug, war zerknittert, er zog ihn enger um den schmalen Körper, als er die Arme verschränkte. „Also, was genau meinst du?“ „Sagen wir, ich habe kürzlich eine Information erhalten, die unsere Mission zu großen Teilen in ein anderes Licht rücken könnte. Ich kann noch nicht beurteilen, was relevant für die Steine ist.“ Sie zögerte und hatte das große Bedürfnis mit jemand ganz Bestimmtem darüber zu sprechen, um ihre Gedanken zu ordnen. Mit dem Einzigen, dem sie absolut uneingeschränkt vertraute. Die aufkommende Wehmut legte sich bitter auf ihr Gemüt, aber sie schluckte sie fürs Erste herunter. „Was hältst du von Markus‘ Verhalten?“ Ob er wusste, dass er in Markus‘ Auftrag Vorbereitungen für den Bau einer mächtigen Waffe traf?
„Markus hat sich verändert.“ Weise Worte eines Mannes, der sehr genau beobachten konnte. „Er war schon immer ein berechnender Stratege, aber er war nicht kalt. Jetzt gibt er sich undurchsichtig, was seine Beweggründe angeht und ich kann seine Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen.“ Syrus stützte sein Kinn auf die geschlossene Faust.
„Heute Morgen gelang es mir endlich, die DNA eines der Steine zu entschlüsseln. Vor dem Hintergrund, dass die Steine organischen Ursprungs sind, bezweifle ich zu diesem Zeitpunkt, dass es ein Material gibt, das diese Energie aufnehmen und sie weiterverwenden kann. Ich habe versucht einen Stoff zu synthetisieren, der als Katalysator oder vielleicht sogar als eine Art Batterie fungieren könnte. Es gab dazu eine Formel in den Daten die ihr in Berlin entwendet habt.“ So weit so gut, das wusste sie schon. „Aber wozu willst du so etwas herstellen? Was versprichst du dir davon, was verspricht sich Markus davon?“ „Ich will vor allem herausfinden, wozu die Steine hergestellt wurden. Da die Unterlagen über die Forschungsreihe nicht in primärem Zusammenhang zu den Steinen gebracht werden können und Gregorowizc jegliche Informationen verweigert, scheint mir dies der einzige Weg. Wozu sollten die Hegedunen menschliche Versuchskaninchen brauchen? Was sollten diese besitzen, an das sie nicht auch ohne einen solchen Aufwand gekommen wären? Und selbst wenn es um Energie ginge, wir wissen doch, dass es jetzt schon ausreichend regenerierbare Energiequellen gibt, wenn sie auch vor den Menschen geheim gehalten werden. Es muss einen anderen Grund für die Existenz der Steine geben. Was Markus‘ Motive angeht, kann ich nur Vermutungen anstellen.“ Aurelia erkannte erschrocken, dass Syrus wahrscheinlich Recht hatte. Sie war so auf ihr Gefühl konzentriert gewesen, dass sie der richtigen Spur gefolgt waren, hatte sich so sehr auf ihre Gabe verlassen, dass sie versucht hatte, alles was geschehen war, danach zu interpretieren. Doch nun, da ihr die Sicherheit fehlte, dass ihre Intuition ausschließlich auf der Jagd nach der Lösung um das Geheimnis der Steine gewesen war, sah sie sich gezwungen, auch andere Blickwinkel in Betracht zu ziehen. Die Hegedunen hatten etwas mit den Steinen vor und sie hatten sich große Mühe gemacht, eine Menge Fußspuren zu platzieren, denen die Legion folgen hatte können. Zusätzlich waren da die Pläne, die Markus und der Rat umzusetzen versuchten. Eine Waffe zu bauen, die so mächtig war, dass sie vielleicht einen Krieg entscheiden könnte, war ein Unterfangen, das mit äußerster Vorsicht zu betrachten war. Sicherlich stellte es einen unschätzbaren Wert dar, ja vermochte vielleicht sogar, das sprichwörtliche Ass im Ärmel zu verkörpern, doch hätte sie nie mit einem solch riskanten, gefährlichen Schritt gerechnet. Ein Krieg hätte viele Tote auf allen Seiten zur Folge und selbst wenn die Legion und die Menschen ihn zu ihren Gunsten wenden würden können, würde er den Planeten, die Grundlage allen Lebens, in Mitleidenschaft ziehen, möglicherweise sogar zerstören. Ein Preis, den bisher keine der beteiligten Parteien zu zahlen bereit gewesen war.
Und irgendwo in diese Überlegungen musste ihr Gegenstück passen, das sie nun unwissentlich in den Bunker geholt hatten, wo sich auch die Steine befanden. Ihre Vision war nicht mehr nur ein bloßer verschwommener Schatten in der Zukunft.
Aurelia fluchte bei dieser Erkenntnis ungehalten, doch noch hatte sie die Hoffnung, dass Dante auf ihrer Seite stehen würde, sollte es zum großen Show Down kommen. Dies hatte ihre Vision mehr oder weniger offen gelassen. Fest stand jedoch, dass sie ihn im Auge behalten musste, so oder so. „Sind die Steine sicher verwahrt?“ „So sicher wie möglich. Ich habe das Labor abriegeln lassen.“ Auch das hatte ihr Pareios schon berichtet, aber das hatte sie nicht gemeint.
„Nur du solltest Zugang haben, das wäre vorerst das Beste.“ Sie wusste nicht, ob sie Syrus anvertrauen sollte, dass Dante ihr Gegenstück und der Mann in ihrer Vision war. Aber etwas anderes musste sie dringend ansprechen, um zu klären, ob sie sich in diesem Punkt auf den Wissenschaftler verlassen konnte. „Machst du die Steine zu einer Waffe?“ Syrus zeigte keine Überraschung, was Aurelia wiederum nicht verwunderte. Er war wirklich erschreckend intelligent, nicht mal ihre Intuition konnte da mithalten.
„Ich bin Arzt. Die Herstellung eines Mordinstruments widerstrebt meinen ethischen Grundsätzen. Bei dieser Frage verwechselst du den Adressaten.“ erklärte er schließlich kühl. Obwohl der ältere Mann es nicht zeigte, spürte Aurelia, dass diese Erkundigung eine Art Beleidigung für ihn bedeutete.
„Also hat dich jemand darum gebeten?“
„Nicht wortwörtlich. Aber dieser Jemand schließt eine militärische Nutzung der Steine bestimmt nicht aus.“ Sie waren sich beide im Klaren darüber, über wen sie sprachen. „Ich glaube allerdings nicht, dass dies bei der aktuellen politischen Lage Rückhalt unter den Elevendern der Legion finden wird.“ Aurelia verzog das Gesicht. Sie war sich da nicht mehr so sicher. Da sich der Rat gerade jetzt versammelte, konnte sie diese Möglichkeit nicht mehr ausschließen. „Ich fürchte, das könnte sich ändern.“ Syrus fixierte sie aufmerksam, mit nachdenklichem Gesichtsausdruck beugte er sich vor. „Sprichst du von besagten Informationen, die du erst kürzlich erhalten hast?“ „Auch.“ Widerstrebend sprach sie weiter, wobei sie ihn ihrerseits genau beobachtete. „Du solltest Markus auf jeden Fall an der kurzen Leine halten, wenn es um deine Forschungsergebnisse geht. Außerdem wäre ein Plan B nicht schlecht. Vielleicht wird es irgendwann nötig, die Steine unschädlich zu machen. Hast du darüber schon Mal nachgedacht?“ „Jeder Organismus hat eine Schwäche.“ sagte er nur.
„Aber wirst du es auch tun, wenn der Zeitpunkt gekommen sein sollte?“ Sie suchte seinen Blick, als er ihr mit einem Neigen des Kopfes seine Zustimmung gab. „Du kannst dich darauf verlassen, dass ich das Richtige tun werde.“ Während Aurelia noch aufging, dass er damit nicht auf ihre Frage geantwortet hatte, stand der Grauhaarige schon auf. Seine Kniegelenke und der Rücken knackten, als er sich vollends aufrichtete. „Was deine Geheimniskrämerei betrifft, so lass dir gesagt sein, dass du Markus in nichts nachstehst.“ Aurelia wollte etwas erwidern, aber er hob abwehrend die Hand, schon bei dem kleinen Verbandswagen angekommen, den er gar nicht benutzt hatte. „Ich begreife die Notwendigkeit, Informationen zurück zu halten, aber du wirst mir zustimmen, wenn ich sage, dass ich nicht blind agieren kann. Außerdem wäre ich gerne dabei, wenn du mit Gregorowizc sprichst.“ Grundsätzlich hatte sie nichts dagegen, vier Augen sahen mehr als zwei. „Ich verstehe.“ gab sie nach einer kurzen Pause zurück und er verabschiedete sich höflich.

Aurelia sinnierte weiter, wurde jedoch bald von wesentlich primitiveren Bedürfnissen abgelenkt. Ihr Magen knurrte, als hätte er schon eine ganze Weile nichts mehr bekommen, was wahrscheinlich auch der Fall war, sie konnte sich kaum an ihre letzte Mahlzeit erinnern. Schon bald verkrampfte sich das leere Organ zu einem schmerzhaften Knoten in ihrem Oberbauch, doch zuerst wollte sie sich der Körperhygiene zuwenden, die in letzter Zeit auch zu kurz gekommen war.
Sehnsüchtig blickte sie zu dem Durchgang gegenüber von der Tür zum Flur. Milchglas versperrte die Sicht in ein kleines Bad, das an das Krankenzimmer angeschlossen war. Die Waschräume auf der Krankenstation waren besonders ausgebaut, sodass sie auch von Verwundeten und ihren Betreuern benutzt werden konnten. Aurelia schob erst ein Bein aus dem Bett, dann das Zweite, vorsichtig belastete sie beide ein wenig. Da sie nicht nachgaben wurde sie mutiger und stand langsam auf. Nach einer Verschnaufpause, in der sie ihr Gleichgewicht einzuschätzen versuchte, schlurfte sie los in Richtung Bad.
Auf halbem Wege jedoch, begann das Zimmer um sie herum zu schwanken wie ein Schiff bei heftigem Seegang. Unsicher geworden streckte sie die Hände aus, um sich bei einem Sturz abzufangen. Gerade geriet sie in eine gefährliche Schieflage und machte sich schon auf einen unangenehmen Aufprall gefasst, als sie an den Schultern gepackt und stabilisiert wurde. Der Druck auf der ehemaligen Wunde auf der rechten Seite verursachte einen stechenden Schmerz und ließ sie zischend durch die Zähne Luft holen.
„Entschuldige!“ Sie verlor den Boden unter den Füßen, als Pareios sie auf seine Arme hob. „Hast du noch Schmerzen?“ Die Stirn an seine Schulter gelehnt, schüttelte sie leicht den Kopf und hoffte, dass der Schwindel schnell vergehen würde.
„Wolltest du ins Badezimmer?“ Ohne auf eine Antwort zu warten oder sie anzusehen, setzte er den Weg fort und platzierte sie auf einem Hocker in der Dusche. Der geflieste Raum war groß genug, dass man mit einem Rollstuhl hinein fahren konnte und besaß außer der ebenerdigen Dusche noch ein Waschbecken und eine Vielzahl von Ablagen und Haltegriffen. Schummriges Licht ersetze die Sonne, da es keine Fenster, sondern nur eine leise dröhnende Lüftung an der Decke gab, wie überall im Bunker.
Wortlos nahm er einen Kamm von einer der Ablagen und begann sanft ihr Haar zu entwirren. Er waren angenehme Gesten, die Fürsorge rührte Aurelia so tief, wie es sonst niemand bewirken konnte, auch nicht Dante. Das erstaunte sie, aber sie genoss die Berührung zu sehr, um sich weiter Gedanken darüber zu machen. Strähne für Strähne nahm er sich vor, hielt sie am Ansatz fest, während er kämmte, damit es nicht ziepte und ging dabei gründlich und ohne Hast vor. Seine Finger strichen immer wieder über ihren Hals, die Hornzinken kratzten vorsichtig über die Kopfhaut und beides jagte ihr Schauer über den Rücken.
Als er fertig war, legte er sein Werkzeug zur Seite und strich ihr den dunklen Schopf aus dem Nacken, um die Bänder des Kittels zu öffnen, den man ihr nach der Operation angezogen hatte. Er zog sich zurück, überließ ihr das weitere Entkleiden, indessen er den Duschkopf kurz über den Boden hielt und ihn anstellte. Nachdem er die Wassertemperatur geprüft und für zufriedenstellend befunden hatte, wandte er sich ihr zu und sah ihr in die Augen.
Die Intensität seines Blickes versengte sie, in seiner sonst grauen Iris glühten nicht nur Kohlen, es wirkte, als tanzten kleine Flammen darin. Komischerweise kam sie sich in ihrer Nacktheit nicht entblößt vor, eher erfasste sie eine freudige Erwartung und sie fühlte sich – anhand seiner unverkennbar männlichen Reaktion – begehrt. Diese Tatsache verstörte sie nicht halb so sehr, wie sie es vielleicht sollte, da sie vor noch nicht ein Mal ganz einer Stunde ihr Gegenstück getroffen hatte. Aber Pareios‘ Gegenwart verdrängte diese Überlegung. Allein, dass er hier stand und sich zum wiederholten Male um sie kümmerte, während sie ihm nichts zurück geben konnte, als Leid. Vielleicht war es einfach so, dass sie sich bei ihm zu Hause fühlte, weil er ihr Herz besaß. Und wenn dem so war, lag es nicht mehr in ihrer Hand darüber zu verfügen… oder es einem Anderen zu schenken. Trotzdem ließ sich ihre Verbindung zu Dante nicht wegleugnen und ihr Gewissen machte sich bemerkbar. Ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen, aber sie blinzelte sie weg, ohne sie über ihre Wangen rollen zu lassen. Sie wollte ihn vor ihrem eigenen Schmerz schützen, aber gleichzeitig war sie nicht selbstlos genug, ihn fort zu schicken. Denn zweifellos wäre dies jetzt angebracht gewesen, wenn sie wollte, dass er wenigstens eine Chance hatte, diese Sache zwar mit ein paar Narben mehr, aber ungebrochen hinter sich zu lassen.
Pareios kam langsam auf sie zu. „Beug‘ den Kopf nach hinten.“ forderte er leise. Sie gehorchte und er hielt den angenehm warmen Wasserstahl an ihr Haar, ließ ihn dann weiter nach vorn spülen, schützte aber ihr Gesicht und ihre Ohren mit der anderen Hand. Er nahm Shampoo und verteilte es in den nassen Wellen, bevor er es zärtlich einmassierte. Aurelia schloss vor Genuss die Augen, beinahe hätte sie geschnurrt. Es war so einfach, sich ihm anzuvertrauen, sich bei ihm sicher zu fühlen. Sie schmolz unter seinen Berührungen und das Verlangen, ihn ihrerseits anzufassen, erwachte. Sie hielt sich zurück, obwohl es sie einiges an Kraft kostete, nicht sicher, ob er es überhaupt zulassen würde. Als der Schaum mitsamt dem Schmutz und dem getrockneten Blut aus ihren Haaren gewaschen war, half ihr Krieger ihr dabei, sich einzuseifen. Seine großen, rauen Hände glitten über Arme und Beine und hinterließen eine heiße Spur. Sie wünschte sich, dass sie fester zupackten und sie die Angst vor dem Verlust vergessen ließen. Aufmerksam folgte sie seinen Bewegungen, wie er hingebungsvoll einen Fuß mit schäumendem Duschgel bedeckte, gleich danach mit dem anderen auf dieselbe Weise verfuhr und ihr schließlich aufhalf, um sie noch ein Mal abzuduschen. In der aufgestauten Hitze und dem heißen Wasserdampf, der sich in dem kleinen Bad gebildet hatte, war ihr nicht kalt, als sie die Hände auf seine Schultern legte und sich an ihm abstützte. Er steckte den Duschkopf in die dafür vorgesehen Halterung, gemeinsam wuschen sie auch den letzten Rest der vergangenen Nacht und des Schreckens ab. Bevor er dazu kam, das Wasser abzustellen, hielt sie es nicht länger aus und durchbrach die Stille.
„Pareios.“ Das Herz war ihr schwer, so schwer als ob Tonnen von Gewicht darauf lasteten.
„Ist das der Moment der Wahrheit?“ fragte er mit brüchiger Stimme.
Er musste in ihrem Gesicht gelesen haben, welche Worte sie nicht aussprechen konnte, denn er legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. „Sag es noch nicht. Gib uns Zeit.“ Sein Daumen strich über ihre Wange. „Gib mir noch ein wenig mehr Zeit mit dir.“ murmelte er, dann küsste er sie. In ihrem Magen wurde es flau vor lauter Schmetterlingen und ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Ihr Körper und ihr Herz öffneten sich für ihn, gewillt, ihm alles zu geben, wonach er verlangte.
Leidenschaftlich erwiderte Aurelia den Kuss. Spürte wie Pareios sie damit in Besitz nahm und tat es ihm gleich, indem sie ihn fordernd an sich zog. So geriet er vollbekleidet unter den Strahl der Dusche, aber es kümmerte sie beide nicht. Die starken Arme dieses großen Mannes schlossen sich um sie, sie klammerten sich an einander fest und versuchten zu vergessen. Nur noch eine kleine Weile. Eine kostbare, köstliche Weile.
Aurelia schob sein Shirt hoch, aber da es durch die Nässe an seinem Körper klebte, musste er mit anfassen. Sie legte die Handflächen auf die breiten Muskeln auf seiner Brust und spreizte die Finger, fuhr die Konturen der Narben nach, küsste die goldbraune Haut. Dabei hielt er sie, ein Arm um ihre Taille geschlungen. Sie prägte sich seinen Geschmack ein, wollte jeden Moment auskosten, wo es doch vielleicht das letzte Mal sein konnte.
Ihre Lippen fanden sich wieder, heißer, keuchender Atem strich ihr über das Kinn. Ihr Geliebter brannte für sie, das Blut schien in seinen Adern zu kochen. Noch mehr Dampf erfüllte die Luft und er feuerte auch ihr Verlangen weiter an, als er zuerst sacht über ihr Brüste streichelte, dann eine umschloss und sie fest knetete. Bald schon waren seine kundigen Finger überall und brachten ihr Innerstes zum Vibrieren. Sie wollte nichts weiter als sich in seiner Umarmung zu vergraben und Welt da draußen hinter sich zu lassen. Zitternd öffnete sie die schwarze Cargohose, die zur Alltagskleidung der Elevender im Bunker gehörte und Pareios zog sie mit einiger Anstrengung samt Schuhe und Socken aus, wobei sie einander stützten.
Er bedeckte ihren Körper mit Küssen, erkundete die nasse, glitschige Haut mit Zunge und Zähnen. Gänsehaut rieselte ihren Rücken hinunter und ihre Brustspitzen richteten sich vor Vorfreude auf, wenn er seine harte Erektion gegen ihren Körper drückte. Schließlich hob er sie erneut mühelos hoch, schlang sich ihre Beine um die Hüften. Nur einen Moment später spürte sie ihn in sich, erstickte ein lautes Stöhnen an seinem Hals und begann, sich mit ihm zu bewegen.

Wie schon in ihrer ersten Nacht war die Begegnung berauschend. Die Nähe, die Berührungen und das schwere Klopfen seines Herzens, all das vereinnahmte sie. Wenn sie ihm in die Augen blickte, sah sie, was sie hätten sein können, sah, was sie waren und was er ihr bedeutete. Aurelia wurde klar, dass, egal wie sie sich auch entscheiden mochte, einen Teil ihres Herzens und ihres Selbst würde immer Pareios gehören. Er hatte sie erweckt und ihre gezeigt, zu welch tiefen Gefühlen sie trotz all ihrer Vergehen und schlimmen Taten noch fähig war. Er hatte sie befreit, indem er ihr vermittelt hatte, dass auch sie eine solche Zuneigung verdiente. Vielleicht war es der Entstehungszeitpunkt, der diese Beziehung so wertvoll für sie machte, vielleicht war es auch einfach nur Pareios. Aber etwas in ihr hatte sich auf einer Ebene an ihn gebunden, auf die sie möglicherweise keinen willentlichen Zugriff hatte.
Sie konnte ihn nicht zurückweisen, konnte ihn nicht zurücklassen. Jetzt nicht und vielleicht niemals.








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