Gifted - Die Befreiung - Teil 26

Autor: Aven
veröffentlicht am: 29.08.2012


Hey Leute,
wie immer ein riesen Danke an alle Leser und Kommentierer, ich bin total glücklich, dass ich euch unterhalten kann, hätte eh nie gedacht, dass überhaupt einer mein Gewäsch liest ;D
Dieser Teil ist mir irgendwie aus den Fingern geflossen, weil mir die Idee so gut gefallen hat, als ich sie hatte und dann hab ich nur noch auf den Moment gewartet, wo's endlich Zeit dafür war ! :D
Also ich hoffe, ihr habt so viel Spaß dabei wie ich und ich bin gespannt was ihr dazu sagt, also kommentiert weiter fleißig!
Beste Grüße, Aven



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Es war ca. 16 Uhr als sie die Stadtgrenze von Kopenhagen erreichten. Aurelia saß am Steuer und sie war gefahren, was die Karre hergegeben hatte. Sie fühlte sich gehetzt und verfolgt, befürchtete, jede Minute von ihren Gegnern überrascht zu werden.
Die Adressenrecherche Evrills hatte ergeben, dass sich eine in einem Wohngebiet und die andere in einem Industriegebiet etwas außerhalb der Stadt befanden und hatten beschlossen, dass ihre Chancen in einer Privatwohnung wahrscheinlich größer waren. Jetzt verlangsamte sie allerdings das Tempo, sie wollten innerhalb der Stadtgrenzen keine unnötige Aufmerksamkeit erregen, in dem sie zufällig einer Polizeistreife in die Hände fielen. Evrill saß neben ihr und führte sie anhand einer Karte, die sie noch in Rødby kurz nach dem Anlanden der Fähre erstanden hatten. Sie hatten zwar ein Navigationssystem dabei, aber sie hatten schon während ihrer ganzen Reise vermieden, es zu benutzen. Sobald sie das GPS anzapften, das sich schon seit über 70 Jahren völlig unter hegedunischer Kontrolle befand, sendeten sie auch ein Signal, das ihre Position verriet. Besonders jetzt, da sie sich verfolgt fühlten und nur hoffen konnten, dass sie schnell genug gewesen waren, waren sie noch entschlossener, das technische Gerät ausgeschaltet zu lassen.
Je weiter sie nach Norden gekommen waren, desto kühler war die Luft geworden. Die Sonne schien zwar immer noch, aber die Temperaturen entsprachen den nördlicheren Breitengraden, auf die sie sich zubewegt hatten.
Evrill leitete sie in ein Wohngebiet im Nordosten, ein paar Kilometer vom Zentrum entfernt. Kopenhagen war eine sehr moderne Stadt geworden. Überall glänzte es silbern und metallisch und gläserne Kolosse sowie zahlreiche Hochhäuser zeichneten das Stadtbild. Außer dem inneren Kern war alles genauso angeordnet wie in jeder Stadt, die von den Hegedunen umgestaltet worden war. Wohngebiete in Hochhäusern, Industriegebiete, einzelne Amüsier- und Shoppingmeilen. Der viele Stahl und das Glas reflektierten die Mittagssonne und blendeten ihr gnadenlos die Augen. So wirkte die Stadt wie ein schillernder Diamant, der alle Facette des Lichtes hervorbrachte. Es fühlte sich merkwürdig futuristisch an, vor allem im Gegensatz zu der wesentlich ursprünglicheren Pariser Innenstadt.
Sie steuerten eine Adresse mitten im Herzen des Stadtviertels an. Die Anonymität der Hochhaussiedlungen würde es ihnen erleichtern, hier am helllichten Tag hineinzuspazieren. In einem einzelnen Gebäude lebten mehrere hundert Menschen, keiner kannte alle seine Nachbarn, geschweige denn alle, die hier ein und aus gingen. Das war das Gute.
Das Schlechte war, dass sie nur eine Adresse hatten, aber keinen Namen und hunderte von Wohnungen zu durchsuchen, ohne zu wissen wonach sie eigentlich Ausschau halten sollten, wäre ein Farce.
Aurelia parkte den Wagen zwischen anderen direkt vor dem Eingang, falls sie schnell abhauen mussten, dann musterte sie das Gebäude, das in grauem Beton und verwittertem Stahl vor ihnen aufragte. Aurelia und ihre Begleiter beobachteten die Gegend genau und sie befragte auch ihr Gefühl, ob ihre Gegner schon hier waren und eine ungeahnte Gefahr für sie darstellten. Aber sie fühlte keine Abneigung und auf den Straßen konnte sie auch nichts Ungewöhnliches entdecken. Jedoch hatte sie nicht den geringsten Anhaltspunkt, wie sie anfangen sollte, also entschied sie sich, ihre Intuition mit der Sache zu betrauen.
„Ich geh rein!“ gab sie mit ruhiger Stimme bekannt, den Blick unverwandt auf das Hochhaus gerichtet, aus dem jetzt einige Bewohner heraus strömten. „Ich seh‘ mich ein bisschen um, vielleicht rieche ich ja irgendwo was.“ Sie öffnete die Fahrertür, beim Aussteigen zog sie den Reißverschluss ihrer Lederjacke zu und verbarg so ihr beachtliches Waffenarsenal. Kaum war sie um das Auto herum gegangen und hatte den Pflastersteinweg, der zum Eingang führte, betreten, war Pareios an ihrer Seite.
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich alleine gehen lasse!?“ grummelte er finster und zog ebenfalls seine Jacke ganz zu. „Evrill sitzt am Steuer und spielt den Fluchtfahrer, falls wir einen brauchen sollten.“
Aurelia nickte und hielt zielstrebig auf die große gläserne Eingangstür zu. Links davon waren mehrere in Reihen angeordnete Klingelschilder angebracht. Sie hatte keine Ahnung gehabt, was sie erwartete, aber jetzt überkam sie eine freudige Aufregung. Einer Eingebung folgend überflog sie die Klingelschilder, las sorgfältig jeden einzelnen Namen, immer schneller, bis ihre Augen an den geschwungen Lettern eines Schildes hängen blieben.
Ihr Herz machte einen freudigen triumphierenden Hüpfer. Wieder las sie den Namen und wies auch Pareios darauf hin. „Jesper Svenssen“ las er flüsternd vor, dann erstarrte auch er.
„Hol‘ mich doch der Teufel, das ist doch der Name aus den Daten der Versuchsreihe!“

Als das nächste Mal zwei junge Frauen aus dem Hochhaus kamen, schlüpften sie hinter ihnen durch die Eingangstür hinein. Innen herrschte eine kühle, leblose Atmosphäre, die Wände waren kahl und in einem Farbton angestrichen, der den Schmutz am besten verdeckte, der sich durch die vielen Hände und Berührungen an den Mauern sammelte. In den Wohnhäusern gab es keine Kameraüberwachung, also gingen sie langsam zu zweit weiter die Gänge entlang. Mit Pareios an ihrer Seite fühlte sie sich stark und unbezwingbar. Sie schickte ihre Intuition aus, ließ sie schweifen und ihnen den Weg zur Wohnung ihrer mysteriösen Zielperson zeigen. Ihre Stimmung wurde immer verheißungsvoller, je tiefer sie ins Gebäude vordrangen und sie ließ die Kraft durch Arme und Beine fließen, bereitete sich vor, notfalls schnell zu reagieren. Im dritten Stock war es schließlich eine rotgestrichene Tür, die Aurelias ganze Aufmerksamkeit fesselte und sie wie magisch anzog, mit jedem Schritt, den sie darauf zutat, wuchs die Gewissheit. Ein Blick auf das Namensschild an der Tür gab ihrer Vermutung recht, sie standen genau vor der Wohnung der Person, deren Name in den Daten aus dem Labor erwähnt worden und der letztes Jahr von dem Fahrer zu mysteriösen Treffen gefahren worden war. Ihr Herzschlag beschleunigte sich jetzt, jagte ihr Blut durch die Adern, transportierte das ausgeschüttete Adrenalin bis in die letzte Zelle.
Sie sah sich um. Der Flur war leer, aber hinter der Tür vernahm sie Geräusche, die eindeutig verhießen, dass jemand zu Hause war. Sie nickte Pareios zu und beide zogen ihre Waffen. Sie hatten keine Vorstellung davon, in was sie gleich hineinstolpern würden und so schien ihnen eine stählerne 9mm-Versicherung keine schlechte Idee. Sie tauschten einen letzten Blick, dann trat Pareios an die Tür heran. Er legte seine Hand direkt auf die Fläche unterhalb der Klinke, wo sich der Schließmechanismus im Innern des Holzes verbarg. An den Rändern seiner Handflächen begann das Holz zu schwelen, wurde schwarz, umspielt von kleinen rötlich und bläulich züngelnden Flämmchen. Leichter Qualm stieg auf, während er mit beharrlicher Hitze das Holz einäscherte, bis der Schließbolzen, nur noch umgeben von einem Haufen Holzkohle, im Türrahmen steckte, getrennt vom Rest der Tür, die Aurelia nun mit einem Tritt zur Seite beförderte. Seite an Seite traten sie mit nach vorn gestreckten Waffen in die Wohnung.
Sie fanden sich direkt in einem kleinen Wohnzimmer mit einer winzigen Küchenzeile. Auf der rechten Seite, auf einem großen zerschlissenen Teppich angeordnet, befand sich eine kleine Couch samt Beistelltisch, ansonsten war der Raum leer. Sie griff hinter sich und schubste die Tür zu, um ungebetene Zuschauer auszuschließen, falls sich denn welche in der Nähe aufhalten sollten.
Links ging von der Wohnküche ein kleiner Flur ab, der wahrscheinlich zu den anderen Zimmern der Behausung führte. Die Geräusche die weiter zu hören waren, rührten dort her. Aurelia schob sich vor, lugte um die Ecke. Sie bemerkte einen Anflug freudiger Erregung, die ihr ihr sechster Sinn schickte.
Sie starrte geradewegs in die dunklen Augen eines Mannes mittleren Alters. Er saß auf einem Bett, dessen Ausschnitt sie durch die weit geöffnete Schlafzimmertür sehen konnte, und blickte ihr unverwandt entgegen. Er hatte sie ohne Zweifel sofort entdeckt, machte aber keine Anstalten sich zu rühren. Sein Gesichtsausdruck war leer. Er wirkte sehr schlank und seine gebeugte Haltung verstärkte den gebrechlichen Eindruck, den sein Körper unter dem dünnen weißen Baumwollhemd und den grauen Jogginghosen machte. Sein dunkler kurzer Haarschopf war mit grauen Strähnen durchzogen und an manchen Stellen war die Kopfhaut zu sehen. Er schien einige davon eingebüßt zu haben. Jetzt entdeckte sie auch die rötlich schimmernde 20 cm lange Narbe, die sich an seinem linken Ohr vorbei den Hals hinab zog, genau wie ihr Informant vermutet hatte. Die Hände lagen reglos in seinem Schoß, mit den Handflächen nach oben gekehrt. Die Bettdecke rings um ihn herum war feinsäuberlich glatt gestrichen, nirgends lag ein Gegenstand den er als Waffe benutzen konnte.
Aurelia machte einen weiteren Schritt vor, zeigte sich ihrem Beobachter jetzt völlig offen am anderen Ende des Flurs. Er zeigte immer noch keine Reaktion, jedoch folgten ihr seine dunklen Augen langsam und ruhig. Jetzt lag ein Anflug von Resignation darin.
Pareios blieb dicht hinter hier, während sie nun zügiger auf den reglosen Mann zuging. Sie fühlte sich sicher, fühlte sich auf dem richtigen Weg. Das Gefühl veranlasste sie, die Waffe sinken zu lassen und sie wieder ins Holster zu stecken. Es kam ihr diplomatischer vor, angesichts der Wehrlosigkeit ihres Gegenübers. Pareios war nicht ganz so vertrauensseelig. Er behielt die Dessert Eagle im Anschlag, die Mündung auf sein anscheinend unbewaffnetes Ziel gerichtet. Er würde sie keiner unnötigen Gefahr aussetzen.
Aurelia lehnte sich an die Türpfosten des Schlafzimmers und erhob die Stimme: „Sind sie Jesper Svenssen?“ Er sagte nichts, stritt es aber auch nicht ab. „Wir sind gekommen, weil wir von ihnen wissen wollen, was sie mit ‚New Dawn‘ zu tun haben. Was ist ‚New Dawn‘?“
Er legte den Kopf schief, verengte die Augen. Eine Qual, die sie nicht messen konnte, huschte über sein ausgezehrtes Gesicht. Aber er blieb stumm.
„Haben sie daran mitgearbeitet?“ fragte sie weiter. Jetzt kniff er die Lippen zu einem schmalen Streifen zusammen, als wolle er verdeutlichen, dass er um keinen Preis der Welt ein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen wollte. Aber er sah sie weiter unverwandt an, wartete ab.
Wartete vielleicht, dass sie die richtige Frage stellte?
„Wenn sie Angst haben, können wir dafür sorgen, dass sie in Sicherheit sind. Wir können Schutz für sie organisieren, aber sie müssen uns alles sagen, was sie wissen!“ Sie löste sich von Türrahmen und bewegte sich langsam auf das Bett zu, bemüht, Pareios nicht in die Schusslinie zu geraten. Sicher war sicher! Jesper Svenssen ließ den Kopf auf seine Brust sinken und stöhnte verdrießlich.

„Ich wusste, dass eines Tages jemand kommen würde. Ich wusste es!“ seine Stimme war rau und brüchig und seine Worte, obwohl sie zu Hoffnung gepasst hätten, strotzten vor Verzweiflung. Jetzt wusste sie die richtige Frage. Sie spürte es, obwohl sie sich fragte, wie ihn das zum Reden bringen sollte: „Kann ich ihnen irgendwie helfen?“
„Sie können mir nicht helfen. Es ist zu spät!“ gab er hart zurück, heftete seine tiefliegenden schwarzen Augen wieder auf sie. „Es ist schon lange zu spät. Aber es ist in Ordnung so. Ich habe mich damit abgefunden, aber ich habe gewartet, bis sie kommen.“
Sie verstand nur Bahnhof, versuchte alles einer logischen Bedeutung zuzuordnen. Aber er fuhr fort, ließ ihr keine Zeit, weiter darüber nachzugrübeln.
„Wenn ich jetzt anfange, ihnen etwas zu erzählen, habe ich nicht viel Zeit, also halten sie die Klappe und lassen sie mich sprechen, verstanden? Ich habe keine Ahnung, wie schnell es gehen wird!“
Er redete sehr schnell, aber sein Tonfall klang leer, wie die Silben eines Toten. Und so war es auch, begriff Aurelia! Wenn er zu sprechen begann, unterschrieb er sein eigenes Todesurteil. Aber er schien entschlossen, es trotzdem zu tun. Jesper Svenssen hatte anscheinend lange darauf gewartet, seinem Leben auf diese Weise ein Ende zu setzen. Diese unbeugsamen Augen sahen wild zu ihr auf, versessen auf eine Antwort von ihr. Sie nickte schließlich und fügte dann beklommen an: „Danke!... Für alles!“
Pareios schien verwirrt von ihrem unzusammenhängenden Wortwechsel, doch sie brachte ihn mit einem vertrauensvollen Blick zur Ruhe. Er musste nur verstehen, dass alles so lief, wie es laufen musste. Ihre unerschütterte Miene überzeugte ihn schließlich.
Svenssen setzte sich aufrecht hin, straffte die Schultern und machte sich bereit. „Seit etwa zehn Jahren bin ich ein Versuchskaninchen. Sie haben meinen Körper überwacht und ihn kontrolliert. Es gibt noch einige andere wie mich, aber ich war der Erste. Sie haben mich in einen Raum gesperrt und mich mit Elektroschocks gefoltert, bis ich schwach genug war, damit sie mit ihrer Prozedur anfangen konnten. Sie haben mich an Apparaturen angeschlossen und mich sediert, ich bekam nicht mit, was sie taten, aber jedes Mal danach fühlte ich mich schlechter und dann eines Tages…“
In dem Moment begann sein Atem zu stocken, wurde zu einem erstickten Röcheln. Die Augen rollten in den Höhlen nach oben, bis nur nach das Weiße zu sehen war, dann fiel sein Oberkörper von wilden Zuckungen geschüttelt nach hinten aufs Bett. Seine Gliedmaßen verkrampften sich in abnormen Winkeln, die Sehnen und Adern an seinem Hals traten durch seinen stummen Kampf hervor.
„Scheiße!“ fluchte Pareios, steckte die Waffe in den Hosenbund und war sofort neben ihr am Bett. Auch Aurelia war aufgesprungen, um den wild fuchtelnden, zu Fäusten geballten Händen zu entgehen. Gemeinsam packten sie den schmerzverrenkten Körper und legten ihn auf den Boden, wo er weiter unkontrolliert zitterte. Pareios versuchte die Arme zu fixieren, die immer noch mit aller Kraft ausschlugen. Aurelia fasste an Jespers Hals und suchte den Puls. Unter ihren Fingern raste er in atemberaubendem Tempo dahin, wurde schneller und schneller, bis er nur noch als dumpfes Flimmern durch seine Adern drang.
„Sein Herz macht schlapp!“ informierte sie Pareios und rückte weiter nach oben in die richtige Position für Wiederbelebungsmaßnahmen. Doch da riss der gequälte Körper zu ihren Knien noch ein Mal die verdrehten Augen und den schmerzverzerrten Mund auf. Mit letzter Kraft wand er sein Handgelenk aus Pareios griff und packte ihn an den Schultern, hob den Kopf.
„Er hat mir alles genommen….!“ raunzte er zittrig, mehr ein Stöhnen, als verständliche Worte, dann entspannte sich sein Körper schlagartig und der vorher mühsam gehaltene Kopf sowie die Hand auf Pareios‘ Schulter fielen erschlafft herab.
„Wer?“ rief Aurelia ihm zu, als könnte er sie noch hören. Sie musste ihn noch irgendwie erreichen! Verdammt, er konnte ihr hier doch nicht so einfach wegsterben!
Sie kniete sich neben ihn und begann mit gleichmäßigen Stößen sein Herz zu massieren. Mit jedem Pumpen versorgte sie die lebenswichtigen Organe und sein Gehirn mit Blut, hoffte, ihn nur noch eine kurze Weile halten zu können.
„Wer hat ihnen das angetan? Und warum? Was ist mit ihnen passiert? Wer sind die anderen?“ fragte sie den dahinschwinden Geist unter ihren Händen. Sie keuchte vor Anstrengung aber sie machte weiter, beatmete ihn mit zwei kräftigen Atemzügen, um kurz darauf wieder den pumpenden gleichmäßigen Rhythmus auf seiner Brust einzunehmen. Pareios sah ihr bei ihrer merkwürdigen, verzweifelten Aktion zu, war still. Schließlich begriff er aufkeuchend und übernahm die Beatmung, während sie weiterfragte.
„Stecken die Hegedunen dahinter? Wie ist ihr Plan? Was wissen sie über die sechs schwarzen kleinen Steine? Wie hängen sie mit der Versuchsreihe zusammen? Was wurde in ihr untersucht?“
Ein entsetzliches Knacken unter ihren verschlungenen Fäusten durchbrach den Raum, fuhr ihr bis tief unter die Haut und ließ sie erschauern. Sein Körper war schon so geschwächt gewesen, dass die Kochen bereits unterversorgt und brüchig geworden waren. Jetzt gaben sie unter ihrer entschlossenen Herzmassage nach und zerbrachen die letzten Chancen, ihn noch ein paar Sekunden länger im Diesseits zu behalten. Mit einem verzweifelten Seufzen sank sie auf ihre Fersen und ließ den Kopf fallen. Sie hatten schon wieder einen verloren. Einen Menschen, der genauso das Recht auf Leben hatte, wie alle anderen Wesen auf diesem Planeten. Sie betrachtete seinen leblosen Körper und entdeckte am Unterarm einen großen blauen Fleck der vorher sicher noch nicht dagewesen war. Der Fleck war im Zentrum tiefschwarz und die Ränder verjüngten sich zu dunklen rissigen Linien, die sich über die Haut rings herum zogen wie ein Spinnennetz. Man konnte erkennen, wo das Gift in die Blutbahn eingedrungen war. Von der Stelle aus erfüllte es die dicken Venen auf der Innenseite des Arms dunkel und ließ sie so durch die dünne, blasse Haut schimmern. Die Striemen wanderten sichtbar den Arm hinauf, verblassten an der Schulter. Man hatte ihm anscheinend etwas eingepflanzt, das ihn bei gegebener Zeit vergiften und beseitigen sollte. Und er hatte es gewusst! Er hatte gewusst, dass er seinem Schöpfer unmittelbar in die Augen schauen würde und hatte versucht, ihnen alles mitzuteilen, was er wusste. Hoffentlich sogar noch im Tod, dachte sie jetzt bitter und stand auf.
Sie betete, dass sein Geist noch anwesend gewesen war, als sie ihm all die Fragen in sein dunkles Grab nach gerufen hatte. Flehte, dass sein Verstand sich im Augenblick seines Todes damit beschäftigt hatte.
„Los, wir sollten langsam abhauen! Lass uns dafür sorgen, dass er nicht umsonst gestorben ist!“ sagte sie jetzt gefasster zu Pareios. Er stand wortlos auf, wusste, dass sie den toten Körper mitnehmen mussten. Er packte Jesper Svenssen an den Händen und zog ihn ins Wohnzimmer. Gemeinsam zerrten sie den Teppich unter den Möbeln hervor und wickelten den Leichnam hinein. Pareios hievte ihn sich auf die Schulter und Aurelia ging voraus, um sicher zu stellen, dass sie niemandem begegneten. Sie beeilten sich, hielten nur wenn sie unbedingt mussten und als sie schnellen Schrittes aus dem Haus kamen, entdeckte Evrill sie sogleich. Er öffnete ihnen die Hecktüre ihres geräumigen Kombis und half Pareios ihre Fracht in den Kofferraum zu wuchten. Er stellte keine Fragen, bis sie alle sicher im Auto saßen und sich schon einige Querstraßen von dem Hochhaus entfernt hatten.

„Was zum Teufel ist da oben passiert? Warum kommt ihr da mit einer verdammten Leiche rausspaziert?“ erkundigte er sich schließlich an der nächsten Ampel. Er sah sich nervös um. Es war noch helllichter Tag, also waren wenige Ordnungshüter auf den Straßen unterwegs. Trotzdem schien er sich unwohl zu fühlen, mit einem Toten im Kofferraum durch die Gegend zu fahren!
„Der Typ wollte reden. Er hat uns vorher schon gesagt, dass er wenig Zeit haben würde, wenn er anfängt, aber mir war wirklich nicht klar, wie wenig er meinte!“ antwortete ihm Pareios. „Die haben ihm irgendwas in den Unterarm eingesetzt, das ihn umgebracht hat, als er angefangen hat zu singen!“
Evrill blieb stumm vor Entsetzen. „Aber er hat gesungen?“
Pareios nickte. „Hat er, aber viel hat er nicht rausbekommen, bevor er jämmerlich krepiert ist. Aurelia hat ihn eine Weile wiederbelebt und ihm noch ein paar Fragen gestellt. Vielleicht kannst du mit deiner Gabe sehen, was er dazu gedacht hat?“
Evrill schmunzelte bitter. „Dann bin ich ja doch noch zu was gut in dieser Mission!“ Er warf einen Blick zu dem Paket im Kofferraum. „Aber ihr müsst wissen, dass es nicht immer eindeutig ist, was ich sehe. Manchmal sind es nur Fetzen oder einzelne Bilder, ich kann nichts versprechen!“
„Scheiß drauf!“ gab Pareios grimmig zurück. „Tu‘ dein Bestes, das muss reichen!“
„Geht es einfach so, oder brauchst du einen ruhigen Ort, wo wir ungestört sind?“ mischte sich Aurelia jetzt vom Rücksitz aus ein. Evrill lächelte wieder, aber diesmal lag noch etwas dahinter, das sie nicht deuten konnte.
„Ja, ein wenig… Ungestörtheit wäre gar nicht schlecht!“ meinte er dann und legte eine scharfe Rechtskurve ein.






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