Juliana - Teil 3

Autor: lucy-josephin
veröffentlicht am: 04.04.2012


Samstag

Es war Samstag. Ich und Ray hatten uns unter der Trauerweide getroffen. Er malte wieder. Ich saß da, bewegte mich nicht und war sein Motiv. Wir saßen nur auf der Bank und sprachen kein Wort. Dann gab mir Ray seine Zeichnung. Ich schaute in die Augen. Wie grüne Smaragde hatte er meine Augen gemalt. „Da hast du sie aber ganzschön übertrieben glänzend gezeichnet!“ sagte ich und Ray lächelte. „Deine Augen leuchten erst wenn du lachst.“ „Ach ja!?“ herausfordernd sah ich ihn an. „Wirklich!“ sagte er bestätigend und beugte sich zu mir. „Ich liebe dich.“ flüsterte er mir ins Ohr. Dann gab er mir einen zärtlichen Kuss auf den Mund. Ich saß da wie erstarrt. Nichts regte sich. Nur meine Gedanken drehten sich. Mir ging das zu schnell. Er hatte keine Erlaubnis mich einfach zu küssen. Zu schnell. Aber…Aber ich hab ihn eigentlich auch sehr gern. Ich sah ihn schüchtern in die Augen. Sie waren nicht mehr hypnotisch, sondern ich sah darin nur das Verlangen, dass ihn geplagt hatte. Ich wusste,dass er wissen wollte, ob ich seine Gefühle erwiderte. Ich kannte ihn erst seit ein paar Tagen, aber in den Stunden mit ihm hatte ich ihn besser kennengelernt als meine Tante. „Ich...“ meine Stimme versagte. Aber er brauchte keine Worte um zu verstehen, dass es unerwartet kam. Er verkroch sich wieder in seiner Welt aus Bildern. Ich fasste meinen ganzen Mut und küsste ihn. Er sah mich an, ich sah ihn an. Seine Miene hellte sich erleichtert auf. Er hatte auf diese Antwort gehofft. Ray und ich wussten, dass es im wahrsten Sinne des Wortes Liebe auf den zweiten Blick war. Eine halbe Stunde vor dem Mittagessen drehten wir noch eine Runde im Park. Dann gingen wir zum Mittagessen. Dörte schaute erstaunt zu mir herüber. Sie sah mich fragend an, aber ich ging auf nichts ein. Ich redete mit allen über das Wetter und die saublöden HA. Man sah natürlich, dass ich überglücklich war. Mich ging das Alles jedoch nichts an. Ich fühlte mich wie neu geboren. Die Welt war nicht mehr grau von der Angst um meine Tante. Sie war bunt und voll von neuem Leben. Wegen Ray.


Montag

Die Schule fing wieder an und ich konnte Christina nicht länger aus dem Weg gehen. In der Schule passte ich wieder auf, obwohl ich ein paar verstohlene Blicke zu Ray hinüber warf. Christina fiel das auf und in der Pause würde sie sich an Ray ranschmeißen. Seufzend wandte ich mich wieder Herrn Paule zu, der uns in Musik unterrichtete. Herr Paule war voll nett, aber auch fast blind und wir konnten uns ungehindert Zettel zuschmeißen. Heute war mein erster Tag mit ihm und ich merkte wie ihm die ganze Klasse auf der Nase herumtanzte. Zum Glück durften wir nach ein paar Erklärungen an die Instrumente und wir spielten zusammen ein Stück. Christina rollte mit den Augen, aber mir machte es Spaß. Leider war die Stunde auch schon vorbei und die Pause stand vor der Tür. Christina stöckelte zu Ray und zog ihm die Zeichnung aus der Hand. Jetzt wusste ich, was Christina vorhatte. Aber es war zu spät. Christina fuchtelte mit dem Papier in der Gegend rum und posaunte lautstark: „Romeo schreibt Juliana einen Liebesbrief! Ray ist in Juliana verliebt! Ohhhhhh… er malt sie sogar. Ist das nicht romantisch?“ Die ganze Klasse hörte zu und lachte. Christina gab den Zettel ihren Jüngerinnen und ging auf mich zu. Dann sagte sie gedämpft: „Alles hat Augen und Ohren, Juliana. Pass bloß auf, bald will nicht einmal mehr dein Romeo dich haben.“ Ich blieb die ganze Zeit sitzen. Alles stand still. Ray reagierte kaum. Er versuchte, das Blatt zurück zubekommen, um den Schaden zu begrenzen. Als er ihn nicht erwischte, trat er zu mir, nahm mich an die Hand und wir gingen aus der Schule. Er führte mich unter die Trauerweide. Wir setzten uns und er legte seinen Arm um mich. Ich löste mich aus meiner Starre und ein paar Tränen kullerten mir über die Wange. Die Stille war unerträglich. In mir schallten die Worte von Christina hin und her. Sie wurden laut und wieder leiser. Bald will nicht einmal mehr dein Romeo dich haben! Will dich nicht mehr haben! Die Bestimmtheit von Christina war erschreckend. Ich wollte nicht alles verlieren. Es hatte sich gerade erst alles aufgebaut. Nach einer Weile fragte er: „Was hat dir die alte Hexe Christina den zu geflüstert?“ Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Sie hat gesagt…“ fing ich an „dass du mich bald nicht mehr haben willst. Sie wird alles dafür geben um uns auseinander zu bringen.“ „Ich werde dich nicht alleine lassen nur wegen dieser Zicke namens Christina. Ich brauche dich. Ich liebe dich, Juliana. Ich habe dich gesehen und du hast mich gefesselt.“ Ich schaute Ray an. Seine blauen Augen trösteten mich und ich wusste, es gab auch Liebe auf den ersten Blick, wie in einer Schnulze. Ich setzte mich auf und gab ihm schüchtern einen kleinen Kuss. „Dann schnell wieder in die Schule. Wir verpassen doch das tollste Fach: Englisch!“ Ich lachte laut. Ich nahm ihn bei der Hand und wir gingen wieder in die Klasse. Frau Herrmann schallte mir ihre donnernde Stimme entgegen und fing gleich an, uns auszuquetschen. „Warum seit ihr zu spät? Die Pause ist noch nicht verlängert worden! Ihr habt beim Kuscheln doch nicht die Zeit vergessen?!“ sagte sie mit einem Blick auf unsere umschlossenen Hände. Sie wollte gerade die Predigt fortsetzten, als ein lautes Klopfen an der Tür zu hören war. Frau Herrmann stockte und rief mit Donnergebrüll „Herein!!“ Die große Gestalt der Direktorin kam auf die verdatterte Frau Herrmann zu und nuschelte etwas Unverständliches. Frau Herrmann nickte beklommen und sagte mit einem strengen Blick: „Ich muss noch einmal mit Frau Tiegel besprechen. Ich hoffe ihr benehmt euch anständig. Sonst bin ich gezwungen, euch eine Zusatzaufgabe zu geben!“ Ray und ich wollten uns gerade hinsetzen, als Frau Tiegel sich an mich wandte: „Juliana. Du kommst doch bitte mal mit. Es ist sehr dringend.“ Ich schaute zu Christina. Sie sah mich nur mit ihrem hochnäsigen Blick an. Mit einem unguten Gefühl im Bauch folgte ich Frau Tiegel und ließ Ray stehen. Er wollte mit, aber Frau Hermann hielt ihn zurück. Ich folgte Frau Tiegel in ihr Büro.





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